„Ich will Freiheit beim Malen“ Eröffnungsrede zur Ausstellung der Gemälde von Eberhard Warns
„Ich will Freiheit beim Malen“ – Kunst trotz Demenz, Gemälde von Eberhard Warns
Inzwischen würde ich den Untertitel ändern in „Kunst und Demenz“. Ich würde gerne von dem Bild des Kampfes gegen eine Krankheit wegkommen und stattdessen den Blick auf die Möglichkeiten richten, die auch in einem Leben mit Demenz zu entdecken und zu entfalten sind.
Eberhard Warns 1927 geboren, war Pfarrer in der Schülerarbeit, in der Gemeinde und zuletzt als Brüderpfarrer in Bethel u.v.m. Ein Jahr nach seiner Pensionierung gab es erste Anzeichen einer Demenz, die in den folgenden 17 Jahren immer weiter fortschritt. Er verstarb im Jahr 2007.
Seine Frau Else Natalie Warns hat ihn in all diesen Jahren bis an die Grenzen ihrer Kraft begleitet. Ein Durchbruch in einer schlimmen Zeit etwa 4 Jahre vor seinem Tod geschah, als er eines Nachts aufwachte mit dem Ruf „Ich will Freiheit beim Malen!“. Sie besorgte ihm Pinsel, gute Farben und großformatiges Papier, stellte ihm später auch eine Künstlerin (keine Kunsttherapeutin!) zur Seite und gab ihm dadurch die Möglichkeit seiner Freiheit Ausdruck zu geben.
In dem von ihr herausgegebenen Buch (E.N. Warns, Hg. „Ich will Freiheit beim Malen“. Kunst als autonome Kommunikation eines Menschen mit Demenz), finden sich zahlreiche Dokumente, wie über diese Bilder wieder Kontakt möglich wurde. Eberhard bekam wieder Kontakt zu sich selbst, zu seiner Kraft. Ein Bild hat er selbst betitelt: „!Wut u. Mut !!“ Es ist anders in der Formsprache als die meisten anderen Werke. Mit großer Kraft ausgeführt, ein wilder, und zugleich konzentrierter Tanz. Es fasst für mich emotional zusammen, was in seinen Bildern zum Ausdruck kommt.
Wut ist eine starke Kraft, zuweilen wurde sie wild, gar gewalttätig. All unsere Emotionen sind eine starke Kraft. Und vielleicht ist die Verlagerung in der Demenz vom Verstand auf die Gefühle ein Geschenk, das wir von dieser Krankheit empfangen können. Die Wut und all die anderen Gefühle konnten sich bei Eberhard Warns in Lebensmut verwandeln. Eine Botschaft, die er über seinen Tod hinaus an uns weitergibt.
Ich lese seine Bilder als Einladung an uns, das Leben und das Leben mit Demenz aus dieser Perspektive zu lesen und zu leben. Nach den Impulsen und Angeboten Ausschau zu halten, die uns die Kraft wieder finden lassen. Seine Frau hat die schwierige Zeit bis zu seinem Tod und darüber hinaus auf diese Weise als sinnerfüllt erlebt und dadurch die Kraft bekommen, ihn bis zuletzt zu begleiten.
Es war ein Begegnen auf ganz anderen Ebene als früher. Als sie sich darauf einließ fand sie auch wieder Mut. Wo der bisherige Kontakt und die gemeinsame Geschichte mit Familie und Freunden für Eberhard keine Bedeutung mehr hatte, hat er selbst durch sein Kunstschaffen eine Brücke gebaut.
Seine Frau Else Natalie Warns ist Theaterpädagogin, Lehrbibliodramaleiterin, und Mitherausgeberin der Zeitschrift „Demenz. Das Magazin“, in der sie ihre Erfahrung als pflegende Angehörige und ihre besondere Sicht auf die Welt einbringt. Bibliodrama – in meinen Worten – bedeutet, sich durch Spiel und Kunst mit biblischen Texten auseinanderzusetzen und ihnen auf persönliche Weise zu begegnen. Frau Warns ist immer wieder selbst künstlerisch tätig.
Wir kennen uns durch Playing Arts, eine Weiterentwicklung der Spiel- und Theaterpädagogik. In den Prozessen von Playing Arts, in denen wir beide uns immer wieder bewegen, entwickeln die Teilnehmenden ihre ganz eigenen kreativen Wege. Impulse aus der zeitgenössischen Kunst kommen ins Spiel mit unterschiedlichen Materialien, Texten und anderen Impulsen. Auch die eigene Biografie kann mit ins Spiel kommen. Es ist ein oft überraschender, vergnüglicher Weg, die eigene Spur zu finden und zu verfolgen, durchaus durchsetzt mit Frustrationen genauso wie Entdeckungen.
Ich glaube, dass in dieser Art „eingespielt“ es dir, liebe Natalie, möglich wurde, den Kontakt zu seinem Mann zu halten und immer wieder neu aufzunehmen, während er sich im Verlauf seiner Demenz immer wieder – auch dramatisch – veränderte. Die neugierige Haltung, das Gespür, Impulse als solche wahrzunehmen, aufzugreifen und weiterzuführen macht es, glaube ich möglich, dem was aus dem Rahmen fällt, kreativ zu begegnen.
Ich wähle dieses Bild, um zu beschreiben, was viele Angehörige von Menschen mit Demenz erleben und als irritierend und beunruhigend empfinden: wenn ein Mensch nach und nach aus dem Rahmen der üblichen Verhaltensregeln herausfällt oder heraustritt und seine eigenen Regeln entwickelt. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Eberhard Warns bevor er diese Bilder malte, Bilderrahmen bemalte und gestaltete. Christoph Riemer, Begründer und wesentlicher Impulsgeber von Playing Arts, schreibt in ihrem Buch (Warns, 96): „Eberhard Warns begann, zunächst zuhause, die Bilderrahmen vorhandener Bilder aus seinem Besitz zu gestalten, später auch die Rückseiten. Als wenn die Bilder, auch anderer Künstler, nicht am Bildrand enden sollten, sondern einen Übergang in die Welt bekommen sollten.“ Was andere als ungewöhnlich und vielleicht sogar ungehörig erleben, ist in Playing Arts – Zusammenhängen normal. So schreibt Riemer weiter: „Damit hatte er etwas von seiner Unverwechselbarkeit entdeckt und in immer neue Formen gebracht.“ Ich habe Eberhard und Natalie in einem der Playing Arts Sommerateliers in Gelnhausen kennen gelernt und die Ausstellung seiner filigran gestalteten Bilderrahmen gesehen. Anrührend und richtungweisend sind die Worte, die Christoph Riemer von Eberhard Warns erinnert: Er „…stand freundlich lächelnd dazwischen, erstaunt ob der Dinge, die sich dort ereigneten und sprach immer wieder den Satz: `Und es war gut`- eine Segensgeste, die bis heute unvergessen ist.“, so Riemer. Das Zitat aus der Schöpfungsgeschichte, das ich schon öfter mit der hier ausgestellten Kunst verbunden haben „Siehe, es war sehr gut“, der Blick Gottes auf die Schöpfung, hat der Pfarrer Warns sich angeeignet und sich und uns als Segen weitergegeben – in seiner Demenz. Diese Worte sind der Schlüssel, um verschlossene Türen wenigstens einen Spalt breit zu öffnen.
Ich betrachte die Bilder heute abend unter dem Blickwinkel der Kunst. Wir haben, wenn wir abstrakte Kunst sehen, oft den Wunsch zu verstehen und erklären zu können ,was denn der Künstler wohl beabsichtigte. In der Kunst gibt es aber genügend Personen, die absichtsfrei in einen Gestaltungsprozess gehen. Einfach, weil es so sein muss. Bedeutungsebenen kommen hinzu, sind aber zweitrangig.
Eberhard Warns Bilder sind bedeutungsoffen – und – wer kann das schon sagen?- vielleicht sogar bedeutungsfrei? Es war jedenfalls nicht das Ziel, sein künstlerisches Schaffen im Sinne von Biografiearbeit o.a. therapeutischen Ansätzen zu verzwecken.
Es ist eine Herausforderung an uns, die „con – mens“ – mit Geist immer allem eine Bedeutung geben wollen. Aber vielleicht ist eine Dimension der Demenz, endlich frei davon zu sein (sich selbst und anderen) Sinn machen zu müssen. Und vielleicht lässt sich gerade darin Sinnhaftigkeit von Demenz erleben.
Die Zeuginnen und Zeugen seines Kunstschaffens erzählen von seiner Kraft, die er im Malen hatte und die sich durch Pinselbewegung und Farbe ausdrückte. Diese Kraft wird in den Werken transportiert und ist als Bedeutungshorizont nicht zu unterschätzen.
Ich möchte nun unseren Blick auf die Bilder richten. Insgesamt überraschte mich, wie sich beim Aufhängen der Bilder eine strukturierende ordnende Wirkung im Haus einstellte. Klarheit und Kraft waren sofort zu spüren. Die Farben sind eindeutig, kraftvoll, sprechen direkt Emotionen aus und an. Sie rühren an meine Lebensfreude und Lebenslust – auch die Kämpfe, die man im Leben führen muss. Auch das Schwarz, das viele Menschen ja direkt mit Trauer verbinden, hat viele Bedeutungsebenen. Ich möchte nur kurz daran erinnern, dass Schwarz als Trauerfarbe kulturell gesetzt ist. In Asien z.B. ist weiß die Farbe der Trauer. Ein Stilmittel des Künstlers sind die mit breitem Pinsel klar und parallel gesetzten Striche in verschiedenen Längen. Mal gerade, dann wieder gebogen. An einigen Verbindungsscharnieren gibt es Strich-Punkte, die in anderen Bildern zu lebendigen Punktgalerien, Leitern und Tänzen werden.
Die Anlage der breiten Striche reicht von hochkomplexen Konstruktionen bis zur extremen Reduktion. Manchmal sind die labyrinthartig angeordnet. Labyrinth hier verstanden als Symbol unseres Lebenswegs, der durch verschlungene Wege zur Mitte führt, in der wir uns selbst und vielleicht auch Gott finden. Oft setzt sich ein Farbstrich in die andere Farbfläche hinein, mal frech, mal penetrant, mal schleichend. In manchen Bildern kann das Labyrinth zum Irrgarten werden. Mal mag der Blick wandern, mal sucht er sich einen Ausweg aus beklemmender Enge. Bei manchen Bildern musste ich mich zum Ausharren zwingen, den Blick zurückführen. Aushalten, dass nicht gleich eine Erlösung zu finden ist – oder gar keine (ästhetische) Erlösung. So wie pflegende Angehörige täglich und minütlich gezwungen sind, die Irrwege und Suchbewegungen eines fremdvertrauten Menschen mitzugehen.
An manchen Stellen werden die Linien zu Lebewesen (Blau/gelb oben rechts), schlängeln sich an die Oberfläche. Zuweilen sind die Linien umeinander gelegt, erinnern an ein Gehirn mit seinen verschlungenen Pfaden. Hier (Bild rechts) empfinde ich ein Gehaltenwerden und Geborgensein (nicht ungebrochen, wie mir scheint), dort (Titelbild) eine schwebende und zugleich tragende Schale, die Licht anzieht und aussendet.
An manchen Stellen ist die Farbsättigung so stark, dass die Farbe beim Malen zu laufen begann. Mein Eindruck ist, dass dies genauso als ästhetisches Stilmittel gewählt ist wie die anderen Elemente. Sie durchfließen und durchbrechen die zuvor hergestellte Ordnung, lassen die Grenzen zerfließen, irritieren das Auge, lassen Emotionen ebenso fließen.
In Bildern wie diesem hier (grün/rot /schwarz) bilden die Striche architektonische Formen. Hier entsteht bei mir das Bild eines Tores, weckt Assoziationen von Gestalten, die dieses Tor bilden oder auch durchschreiten. Durch meine eigene Beschäftigung mit Portalen, hat dieses Symbol für mich auch immer etwas mit Ewigkeit zu tun. Zugleich wird dieses Portal durch die schwarze Konstruktion von oben auf dem Boden gehalten. Das Rot gräbt sich geradezu in das Schwarz hinein, genauso wie das Schwarz sich in das Rot hineinschleicht. So entsteht eine Spannung zwischen gerade und rund, zwischen Komplementärfarben, zwischen oben und unten, groß und klein. Es sind diese Spannungen, die die Lebendigkeit und Kraft des Bildes , insgesamt der Bilder dieser Ausstellung ausmachen. Und es sind nach meiner Erfahrung diese Spannungen, die die Lebendigkeit und Fülle des Lebens ausmachen.
Wir, Sie sind eingespannt in das Hier und Jetzt, das uns manchmal niederdrückt, aber auch wachsen lässt;
Wir, Sie sind ausgespannt zwischen hier und dort, der Ewigkeit, in die manche sich hineinsehnen, wenn es hier zu schwer wird und die zugleich als eine Kraft ins Leben hineinreicht wie das Gelb in diesem Portal, die uns trotzdem weiterleben lässt und weiter nach neuen Wegen suchen lässt.
Annegret Zander
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