Der Blog für die zweite Lebenshälfte

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Der Sommer mit Frauen – ein 50-jährige findet sich neu

Veröffentlicht in: Bücher/Filme

Der Sommer mit Frauen - ein 50-jährige findet sich neuWenn schon Sommer ohne Sonne, dann wenigstens Sommer mit guter Lektüre: „Der Sommer ohne Männer“ von Siri Hustvet ( rowohlt, in jedem Bestsellerregal berechtigterweise zu finden) ist mein Urlaubslektüre – Favorit! Ich empfehle ihn gleich noch allen Lesegruppen – literarisch hochwertig, dennoch bestens lesbar und ein Einstieg in die eigenen Biografien und Lebenswerte.

Mia Fredricksen, 55 Jahre, verbringt den Sommer in Bonden. Raus aus New York, wo ihr etwas älterer Gatte gerade eine Pause von ihrer 30-jährigen Ehe macht. Die „Pause“ ist Französin, jung und arbeitet mit Boris im Labor. Mias Welt zerbricht. Ihre „Hirnscherben“ werden zunächst in der Psychiatrie (dies nur im kurzen Rückblick) und dann in jenem Sommer ohne Mann sortiert. Und wieder – und neu zusammengesetzt.
Hier in dem sonnigen Kleinstädtchen freunden wir uns mit Mia an, die uns in ihre kleine Welt der Generationen mit hinein nimmt.  Da sind die 87 – jährige Mutter und ihre Freundinnen vom Lesezirkel im Seniorenheim. Die junge Nachbarin mit bockigem Kleinkind, Säugling und Panik schiebendem Ehemann. Sieben weibliche Teenies, mit denen die Lyrikprofessorin einen Sommerkurs in „Poesie“ durchführt. Und derweil ihre eigene Jugend erinnernd durchlebt.

Wer bin ich mit Mitte 50 ?
Anrührend, liebevoll, geistreich und voller Humor begleitet die Ich-Erzählerin die Generationen und sich selbst durch die alltäglichen Krisen der Selbstfindung, die bis ins hohe Alter nicht aufhören. Blitzlichtartig reist sie durch die eigenen entscheidenden Lebensphasen und die Leserin mit ihr. Und so ist sie in ihrem kleinen Sommerleben alles: Tochter, Mutter, Ersatzmutter und -oma, Lehrerin, Freundin, Retterin, Ehefrau und Philosophin.  Unspektakulär sind die Begegnungen, die gelebten Beziehungen, die ihr den Sinn ihres Lebens jenseits ihrer Ehe vor Augen führen. Und das macht dieses Buch so sympatisch.

Freiheit-verströhmende alte Damen
Ein Highlight sind die alten Damen der Seniorenwohnanlage „Rolling Meadows“: „Die fünf Schwäne, die Elite des Ostflügels…, Frauen, die sich ihr Ansehen nicht durch bloße Langlebigkeit oder das Fehlen körperlicher Gebrechen (sie alle kränkelten auf die eine oder andere Weise) verdient hatten, sondern weil den fünfen eine geistige Frische und Autonomie eigen war, die ihnen einen Anstrich von beneidenswerter Freiheit gab.“ (S.20) Mit den fünf Schwänen nähern wir uns sanft den Abschieden an, mit denen über 80-jährige im Grunde täglich rechnen und zu tun haben. Alter ist bitter. Ja. Und die Suche nach der Er-Füllung in diesem Alltag ist eine Aufgabe, die diese Frauen lebendig hält.

Die Lektüre hat mich froh gemacht. Siri Hustvet lässt die Sinnsuche um die 50 ganz nahe am Alltag. Sie findet sich selbst in und durch die Begegnungen mit den Mädchen und Frauen aller Generationen. Insofern ist das Buch mitsamt seinen Abschieden und Krisen voller Happy Ends endlich einmal alltagstauglich.

„Die heimlichen Vergnügungen“ einer 90-jährigen
Meine Lieblingsfigur ist Abigail, um die 90 Jahre alt. Sie zeigt Mia, was sie, die ehemalige Kunstlehrerin, vom Leben nicht gerade verwöhnt, so etwa in Mias Alter gestickt hat. Auf den ersten Blick sind es kunstvolle Decken im kitschigen Design, aber bei genauem Hinsehen oder wenn man einen Knopf öffnet, zeigen sich subversive, wütende Szenen einer sehr wütenden Abigail. Mit ihren „heimlichen Vergnügungen“ ist sie ein Vorbild einer jungen Szene, die mit Strick – und Stickgraffiti subversiv in die allzu glatte Oberfläche unserer Tage eingreifen.

Also: unbedingt lesen!


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