Der Blog für die zweite Lebenshälfte

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Sterben in Zeiten der High-Tech-Medizin

Veröffentlicht in: Allgemein, Endlichkeit

Den folgenden Artikel fand ich in der neuen Berliner Zeitschrift für die zweite Lebenshälfte: Passagen. Vielen Dank, dass ich den Artikel hier veröffentlichen darf und viel Erfolg bei der zweiten Ausgabe! 

www.passagen-berlin.de

Mehr Rechtssicherheit durch die neue Patientenverfügung

Wer hat nicht Angst vor solch einem Ende: man liegt, nach einem Unfall oder einem Schlaganfall, unheilbar krank im Koma und wird nur noch von Schläuchen am Leben erhalten … Frau K. z. B., 76 Jahre alt, fiel nach einer schweren Hirnblutung ins Wachkoma. Ein hoffnungsloser Fall, sagten die Ärzte. Sie wurde in ein Heim verlegt und mittels einer Magensonde künstlich ernährt. Als es ihr noch gut ging, hatte sie ihrer Familie aber zu verstehen gegeben, dass sie nicht in einem solchen Zustand dahinvegetieren wolle. Die Tochter verlangte daraufhin von der Heimleitung, die künstliche Ernährung einzustellen. Als die sich weigerte, beriet sich die Tochter mit ihrem Anwalt und schritt dann zur Tat: Sie schnitt den Schlauch, der ihre Mutter am Leben hielt, durch. Die Heimleitung legte die Sonde jedoch wieder an, es kam zum Prozess. Vor dem Landgericht Fulda wurde die Tochter zwar freigesprochen, weil sie in gutem Glauben dem Rat des Anwalts vertraut hatte. Der Anwalt aber wurde wegen versuchten Totschlags zu neun Monaten auf Bewährung verurteilt.

Im Sommer 2010 kam es dann zu einer sensationellen Wende: Der Bundesgerichtshof hob dieses Urteil auf und sprach den Rechtsanwalt frei. Dabei berief sich der Zweite Strafsenat ausdrücklich auf das neue Gesetz über Patientenverfügungen, dem zufolge der Wille des Patienten ausdrücklich zu respektieren sei!

Dieses neue Gesetz, genauer das »Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts« (§ 1901 a BGB), ist am 1. September 2009 in Kraft getreten. Es besagt, dass Patientenverfügungen für den Fall der Entscheidungsunfähigkeit eines Patienten für den Arzt bindend sind und legt die Rahmenbedingungen ihrer Umsetzung fest. Dabei geht es nicht nur um Krankheiten, die schnell zum Tode führen können wie Schlaganfall und Herzinfarkt, sondern auch um solche, die eine lange Pflegebedürftigkeit nach sich ziehen können wie Wachkoma oder Demenz.

Das Ziel des neuen Gesetzes ist es, den Bürgern mehr individuelle Selbstbestimmung am Lebensende bzw. ein selbstbestimmtes würdiges Sterben zu ermöglichen. Allerdings sind Patientenverfügungen nicht neu. Schätzungen besagen, dass es bereits sieben bis neun Millionen davon gibt. Und obwohl auch die bestehenden Verfügungen schon rechtlich bindend sind, sah sich die Politik veranlasst, ein neues Gesetz auf den Weg zu bringen, das für mehr Rechtssicherheit und Qualität in der Umsetzung des Patientenwillens sorgen soll. Allzu oft nämlich wussten Familienmitglieder nicht, wie sie die Wünsche eines Angehörigen durchsetzen sollten, weil dessen Anordnungen viel zu vage formuliert waren. Und die Ärzte weigerten sich immer wieder, Versorgungs-Maschinen abzustellen, weil sie nicht genau wussten, was erlaubt und was verboten ist.

Um eine gültige Patientenverfügung zu schreiben, muss man allerdings einiges beachten. Es ist z. B. zwingend erforderlich, die eigenen Behandlungswünsche schriftlich niederzulegen und seine Unterschrift mit Datum darunter zu setzen. Dabei genügt es nicht, nur allgemeine Willensbekundungen aufzuschreiben. »Ich habe etwas gegen Apparatemedizin und möchte nicht an Schläuchen hängen«, reicht als Erklärung nicht aus. Man muss vielmehr präzisieren, unter welchen Bedingungen die künstliche Ernährung eingestellt und das Beatmungsgerät abgestellt werden sollen. Es reicht auch nicht aus, in einem vorgedruckten Formular irgendwelche Rubriken anzukreuzen, sondern man sollte in einem eigenen Text erkennen lassen, dass man sich mit der Problematik des Therapieabbruchs unter aussichtslosen Bedingungen wirklich beschäftigt hat. Ist dann der Krisenfall eingetreten, muss geprüft werden, ob der Wille des Patienten mit der aktuellen Behandlungssituation übereinstimmt.

Diese Prüfung ist nur möglich, wenn zuvor ein Betreuer benannt wurde, der zusammen mit dem Arzt den Willen des Kranken ermitteln kann. Daher ist es ratsam, zusammen mit der Patientenverfügung stets eine Vorsorgevollmacht zu erteilen, die bestimmt, wer die eigenen Anweisungen gegenüber den Ärzten durchsetzen soll, wenn man es selbst nicht mehr kann. Ist kein Betreuer benannt, wird vom Gericht eine Person eingesetzt. Und das kann dann auch jemand sein, der einen gar nicht kennt!

Der Betreuer hat also ziemlich viel Macht am Krankenbett. Wenn nämlich in der Patientenverfügung nicht genug Klarheit herrscht, muss der Betreuer dem behandelnden Arzt den mutmaßlichen Willen des Patienten zu erklären versuchen. Er sollte z. B. auch über die Wertvorstellungen des Kranken informieren und frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen mit einbeziehen. Wenn der Arzt dann immer noch nicht überzeugt ist, muss das Vormundschaftsgericht angerufen werden. Es entscheidet – nur im Streitfall also – wie in der konkreten Therapiesituation zu verfahren ist.

Nun mag das neue Gesetz für mehr Rechtssicherheit sorgen, viel einfacher wird die Situation für den einzelnen erstmal nicht. Man muss sich schließlich, noch bei schönster Gesundheit und im Vollbesitz seiner Urteilskraft, genau vorstellen können, was einem alles zustoßen könnte. Denn ein Unfall, der einen Menschen plötzlich aus der Mitte des Lebens reißt, kann schnell passieren. Dabei muss man reichlich medizinische Sachkenntnis darüber besitzen, welche unerwünschten therapeutischen Maßnahmen in einem bestimmten Krisenfall drohen könnten. Für Laien eine recht schwierige Aufgabe, die ohne gründliche Beratung kaum zu leisten ist.

Und wen soll man zum Betreuer seines Vertrauens machen? Familiäre Beziehungen sind ja oft recht spannungsreich. Wer garantiert einem denn, dass der Ehepartner nicht doch allzu schnell das Abschalten der Geräte besorgt, weil er im tiefsten Inneren meint, dass 40 Ehejahre genug seien? Wer kann verhindern, dass erbwillige Enkel einem überforderten Arzt allzu schnell weismachen, dass die Großmutter lieber sterben als intensivmedizinisch behandelt werden will? Und wer weiß denn heute schon so genau, ob er im Zustand der Hinfälligkeit oder Demenz nicht doch lieber rundum betreut im Pflegeheim leben möchte, als tot zu sein? Wärme, Sattheit, Freude und Behagen kann man schließlich auch dann noch verspüren!

Andrerseits kann sich auch der gutwilligste Betreuer schnell überfordert fühlen. Die emotional belasteten Familienangehörigen sind es allemal. Hat man wirklich verstanden, was der Kranke will? Ist seine Patientenverfügung nicht vielleicht veraltet? Kann der liebste Mensch nicht vielleicht doch noch gerettet werden? Sind nicht Menschen auch nach langer Zeit noch aus dem Koma wieder aufgewacht? Wie geht man mit der Verantwortung um, plötzlich Herr – nicht über das Leben – sondern über den Tod zu sein? Man kann nur hoffen, dass gute Gespräche innerhalb der Familie oder mit den besten Freunden wenigstens ein paar der Ängste lindern können.

Probleme rund um die Patientenverfügung gibt es also nach wie vor. Die existentielle Gratwanderung zwischen Leben, Krankheit und Tod wird man per Gesetz wohl niemals eindeutig gestalten können. Dennoch: das Bemühen, solche Verfügungen rechtlich besser zu verankern, ist anzuerkennen. Die Rechtsprechung hat bereits darauf reagiert. Die Ärzte dürften in Zukunft weniger unsicher sein, und die Patienten können darauf vertrauen, dass ihr Wille gelten soll. Auch die Verfahrensvorschriften helfen weiter. Man sollte jedoch einen Text mit seinen Willensbekundungen nicht ohne fachliche Beratung aufsetzen, und man sollte das Schriftstück jährlich überprüfen, gegebenenfalls verändern und mit dem aktuellen Datum versehen. Auch der Widerruf ist jederzeit möglich. Außerdem ist es ratsam, im Portemonnaie einen Hinweis auf die Verfügung und den Ort, an dem sie liegt, mit sich zu tragen.

Vorsicht übrigens bei der Beratung durch Ärzte, denn sie kassieren u. U. viel Geld für ihre Arbeit. Die Deutsche Hospiz Stiftung bietet auf ihrer Internetseite eine 12-Punkte-Checkliste und weitere Informationen zum Thema unter www.12-punkte-check.de

Kostenlose Beratungen gibt es in Berlin z.B. beim Cura-Betreuungsverein, der in Tempelhof-Schöneberg, Steglitz-Zehlendorf und Charlottenburg-Wilmersdorf tätig ist. Telefonnummern und Sprechzeiten sind unter www.cura.nbhs.de oder unter

www.berliner-betreuungsvereine.de zu erfahren.

Eine hilfreiche Broschüre des Bundesjustizministeriums kann man herunterladen unter www.bmj.bund.de (Stichworte Service/Publikationen)

Ina Götz

12-Punkte-Checkliste der Deutschen Hospiz Stiftung:

www.12-punkte-check.de

Cura-Betreuungsverein, Berlin:

www.cura.nbhs.de

www.berliner-betreuungsvereine.de

Bundesjustizministerium:

www.bmj.bund.de (Stichworte Service/Publikationen)

 Quelle: „Passagen – Zeitschrift für die zweite
Lebenshälfte, Ausgabe 1/2011“ 


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