Der Blog für die zweite Lebenshälfte

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Auf keinen Fall leiden

Veröffentlicht in: Älterwerden (im Selbstversuch), Geronto-was? Theorie ganz praktisch, Ideen für Gruppen

Die alte Frau sitzt auf ihrem Lieblingsplatz. Ihre Welt ist auf ein Wohnzimmer zusammengeschrumpft. Der braune Kordsessel, der dunkelbraune Beistelltisch mit den gedrechselten Füßen, der Wandschrank aus den 1970ern, ein paar Alpenveilchen auf dem Fensterbrett. Sie kann kaum noch Laufen, schläft viel, isst wenig.
Und hier ist die Preisfrage: ist das nun schlimm oder nicht?

„Hauptsache ich bleibe gesund, dann ist alles wunderbar!“, sagt nicht nur eine mir bekannte aktive Frau im Ruhestand.
„Wenn ich dann mal nicht mehr so kann, dann weiß ich nicht, ob ich so leben will.“ ist der Kontrapunkt, den ein Mann Anfang 60 setzte.

Was ist das nur, diese Angst davor krank oder eingeschränkt zu sein? Vorneweg: ich habe kaum persönliche Erfahrungen damit, körperliche Einschränkungen zu haben. Aber ich habe viele Menschen befragt, beobachtet, bewundert – und habe ein bisschen über Resilienz gelesen – die Fähigkeit, mit schwierigen Situationen umzugehen. Ich versuche, diesen Wunsch, auf keinen Fall leiden zu wollen, auf verschiedene Weise einzukreisen. Wenn das hier unrund rüberkommt, dann ist das sozusagen Programm. Ich habe keine Antworten.

Besagter Mann sagte, mit 70 fingen so die Zipperlein an. Bis 70 müsste man also seine Pläne für ein aktives Leben möglichst umgesetzt haben. Dann würde es langsam schwierig werden. Und er überlege sich schon, wie er dann damit umgehen wolle. Da schwang fast unhörbar mit, dass dann der nicht mehr so lebenswerte Teil des Lebens beginnt.
Ich höre immer wieder diese Einschätzungen von Jüngeren, „wie schlimm“ das sei für die Leute im Altenheim.Und dass das Alter eine feine Sache sei – solange man gesund sei. Aber dann… Ich höre allerdings auch, wie eingeschränkt so manch alter Mensch zu Hause lebt, der dann im Altenheim wieder aufblüht.

Ich kannte die oben beschriebene Frau. Sie war weit über 80, hatte bis in ihre 70er hinein ein aktives Leben geführt, den Frauenkreis einer Kirchengemeinde hingebungsvoll geleitet, war beliebt gewesen, hatte dann aber die Entscheidung gefällt, die Leitung Jüngeren zu übergeben und sich langsam zurückzuziehen. Nie legte sie die Würde ab, die sie aus diesem ehrenamtlichen Engagement gezogen hatte. Irgendwie schaffte sie es, ihre Lebensfreude in sich hineinzuziehen und in sich drin dieses Feuer weiterglühen zu lassen. Nicht irgendwie. Ich bin ziemlich sicher, dass sie viel betete, aus ihrem Gedichte – und Liederschatz lebte und aus den Erinnerungen. Aber auch aus den Nachrichten, die ihre Schwiegertochter ihr mitsamt liebevollen Fußmassagen aus dem Ort und der Familie überbrachte zog sie ihre Kraft und Inspiration für ihren Alltag.

Besonders eindrücklich war mir die Begegnung mit blinden Menschn, die sich in einem Seminar über ihr eigenes Älterwerden Gedanken machten. Ich habe mit ihnen über Altersbilder gesprochen. Ich mache das oft: Welche Worte fallen Ihnen zu „Alter“ ein. Da kommen meist negative Gedanken, die von den Einschränkungen, Leiden, Einsamkeit sprechen. Bei den Blinden kam das kaum, eher: Weisheit, Unternehmungslust, Neugier! Ich war platt. Und sagte das auch. „Wissen Sie“, sagte eine Frau, die um die 60 war, „wir haben Erfahrung damit, wie es ist, mit Einschränkungen zu leben. Daher wissen wir, dass wir die Einschränkungen, die das Alter vielleicht mitbringt, auch meistern werden.“

Ja. Sie und ich, wir haben auch schon so manches Tief im Leben gemeistert. Es wird Zeit, dass wir diese Erfahrungen als Schatz für das Älterwerden wahrnehmen. Ich glaube, wir kriegen das hin.


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3 Kommentare zu “Auf keinen Fall leiden”

Ulla K sagt:

Heute ist der Tag der älteren Generation –
ein internationaler Aktionstag, der Mitmenschen auf die Situation und die Belange der älteren Generation aufmerksam machen soll.

Er wurde 1968 durch die Kasseler Lebensabendbewegung (LAB) ins Leben gerufen und findet jeden ersten Mittwoch im April statt.

Danke für ihren schönen Blog!

ebz sagt:

Danke! Wird sofort nachgeholt…

Ulla K sagt:

Mir ist wieder einmal das Gebet der Hl.Teresa von Avila in die Finger geraten und möchte Sie daran teilhaben lassen :-)

Gebet eines älter werdenden Menschen

O Gott, Du weißt besser als ich,
daß ich von Tag zu Tag älter und eines Tages
alt sein werde.
Bewahre mich vor der Einbildung
bei jeder Gelegenheit und zu jedem Thema
etwas sagen zu müssen.

Erlöse mich von der Leidenschaft,
die Angelegenheiten anderer ordnen zu wollen.
Lehre mich, nachdenklich, aber nicht grüblerisch,
Hilfreich, aber nicht diktatorisch zu sein.
Bei meiner ungeheuren Ansammlung von
Weisheit erscheint es mir ja schade,
sie nicht weiterzugeben – aber Du verstehst
o Gott,
daß ich mir ein paar Freundinnen erhalten möchte.

Bewahre mich vor Aufzählung endloser
Einzelheiten und
verleihe mir Schwingen, zur Pointe zu gelangen.

Lehre mich schweigen über meine Krankheiten
und Beschwerden.
Sie nehmen zu – und die Lust, sie zu beschreiben,
wächst von Jahr zu Jahr.

Ich wage nicht, die Gabe zu erflehen, mir die
Krankheitsschilderungen anderer mit Freuden
anzuhören, aber lehre mich, sie geduldig zu
ertragen.
Lehre mich die wunderbare Weisheit, daß
ich mich irren kann.

Erhalte mich so liebenswert wie möglich.
Ich möchte keine Heilige sein – mit ihnen lebt
es sich so schwer – aber eine alte Griesgrämin
ist das Krönungswerk des Teufels.

Lehre mich, an anderen Menschen unerwartete
Talente zu entdecken, und verleihe mir,
o Gott, die schöne Gabe, sie auch zu erwähnen.

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