Ein gutes Leben – Essen, Trinken, Schnippeldisko
Ich weiß jetzt, warum ich das letzte halbe Jahr erstaunlich gut überstanden habe. Je schwieriger die Woche wurde, desto mehr habe ich gekocht. Suppen aus dem Kochbuch „Suppenglück“ von Sonja Riker, Eigenkreationen aus der Biokiste plus Liegengebliebenes im Kühlschrank, Asiatisches per Telefoncoaching durch einen Freund und eine selbstkreierte zornige Salsa. Es geht nichts über schnippeln, hacken, rühren, schmecken wenn der Tag richtig schlimm war. Oder schön. Und dann bei der Nachbarin klingeln: Essen ist fertig!
Als wir im ebz so richtig dick in der Krise waren, habe ich Kokosreis für das ganze Personal gekocht: Klebreis aus dem Asialaden über Nacht in Wasser einweichen, in einem Bastkorb über Wasserdampf garen, dann im Topf Kokosmilch einrühren, bisschen Ahornsirup, frisches Obst. Ein Geschmack zwischen fremd und vertraut, eine Konsistenz zwischen Trost und Mut. Wir haben uns alle um den runden Tisch in der Atelierküche gequetscht, den Bauch und die Seele gewärmt und geredet. So ging auch dieser Tag vorüber mit Kraft für den nächsten.
Wenn wir es mal auf das Wesentliche reduzieren, dann brauchen wir für ein gutes Leben Essen, Trinken, (ja, auch Schlaf) und Gemeinschaft. Deshalb komme ich zu dem Schluss: wir brauchen mehr Küchen! Und zwar solche, in die alle reinpassen, wo wir etwas zusammen tun und dabei ins Reden kommen: über die Welt im Großen und Kleinen, über Gott. Ich bin inzwischen der Überzeugung, dass diese Küchen die Orte sind, an denen wir Grenzen überwinden: Generationen, Nationen, Milieus: am Schnippeltisch haben alle Platz, etwas zu tun und zu sagen. Und der Duft aus den Töpfen riecht uns wie Weihrauch.
Es braucht ein paar Leute, die die anderen anstoßen, ins Tun zu kommen. Einen solcher ist Hanns Kniepkamp, aktiv bei „Slow Food Nordhessen e.V.“. Ich wärmte mich an seinem Kachelofen auf einem Schaffell sitzend vor meiner allerersten Beerdigung auf dem kleinen zugigen Friedhof in Schnellrode. An seinem Tisch genoss ich Fisch in Salzkruste gebacken, das Gemüse war aus dem eigenen Garten. Im Ruhestand hat er seine Leidenschaft für gutes Essen, das Stück Erde vor seiner Haustür, die alten Schafrassen der Rhön und das Brotbacken im eigenen Holzofen so ausgebaut, dass andere davon probieren (eigentlich hatte ich schreiben wollen: profitieren). Die Enkelin findet seine Lauchcremesuppe prima, bei einem Nordhessischen Kochabend zeigt er, wie man Brühen ohne viel Geld auch ohne Brühwürfel kochen kann: aus Gemüse- oder Fischabfällen. Inzwischen sitzt er auf Podien, weiß jede Menge über Land-Grabbing und EU Agrarrichtlinien und schnippelt auch mal Wegwerfgemüse bei der Schnippeldisco in Berlin, um die Teilnehmenden der Demo „Wir haben Agrarindustrie satt“ mit einer wärmenden Suppe zu versorgen. „Schnippeldisco?“ Man nehme 1.300 kg Gemüse, das die Bauern nicht verkaufen können, weil die Form nicht der Norm entspricht, lade per Plakat/Facebook/Weitererzählen 300 Leute zum Schnippeln in eine Markthalle ein, Biertische werden aufgestellt, die Ärmel hochgekrempelt und die Hüften geschwungen, denn zwei DJs der „green music initiative“ legen auf. Diese Idee hat schon viele andere angestoßen. In Fulda wurde sie im Rahmen von „Teller statt Tonne“ weiterentwickelt. Da war Herr Kniepkamp auch dabei.
Sie sehen also: Essen ist schon lange nicht mehr nur etwas Privates. Hanns Kniepkamp und seine Kolleginnen und Kollegen von Slow food Norhessen und Fulda haben dazu viel zu erzählen und zu kochen.
Vielleicht regt es auch Sie an:
laden Sie den Nachbarn zum Mittagessen ein, machen Sie mit den Enkeln Kartoffelchips aus Kartoffelschale, finden Sie heraus, was der alten Dame mit Demenz wirklich schmeckt… Ach ja, wenn wir schon „die zukünftige Stadt“ suchen: da sollte auch eine Küche drin sein…
Links zu einem guten Leben
Slow Food Deutschland
Wir haben es satt + Schnippeldisco
Video über die erste Schnippeldisco 2012 in Berlin
Rezepte für Brühen von Hanns Kniepkamp
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