Der Blog für die zweite Lebenshälfte

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Ein gutes Leben: erst mal in Ruhe scheitern

Veröffentlicht in: Älterwerden (im Selbstversuch), Bücher/Filme

Ein gutes Leben: erst mal in Ruhe scheiternDustin Hoffman hat (nach einem gescheiterten Versuch vor gut 30 Jahren) mit 75 sein Regiedebut gegeben. In „Quartett“ ringt eine gealterte Operndiva mit ihrem Selbstbild und der Angst davor, hinter die Leistungen ihrer glanzvollen Tage zurück zu fallen. Soll sie es riskieren, doch noch einmal zu singen – wenn sie damit den Weiterbestand des Altenheims für gealterte Musikerinnen und Musiker retten könnte?
Nun sind Sie und ich keine Operndivas oder Schauspiellegenden. Aber wir haben uns in unserem Leben den einen oder anderen Standard erarbeitet oder schlicht geschenkt bekommen. Die gute Gesundheit, die Leistungsfähigkeit, besonderes Können, eine  starke Stimme, die Gabe, alles essen zu können ohne zuzunehmen. Und nun meinen wir, dieser Standard müsse immer so bleiben.
Der neue Wohlstandsindex, den die Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ vorgeschlagen hat, soll mehr widerspiegeln als das Bruttoinlandsprodukt. Neben Einkommensverteilung und Staatsschulden werden auch soziale Teilhabe und Ökologie in den Blick genommen.
Welchen Wohlstandsindex würden Sie für Ihr Leben anlegen? Wie wäre es mit einem „Kreativitätspegel zur Bewältigung von neuen Situationen“ (also auch dem Umgang mit Einschränkungen körperlicher, finanzieller, sozialer Art). Oder dem Raum-zum-Scheitern-Index.
Hoffman sagte in einem Interview mit der Süddeutschen (Nr. 22, S. 13), dass bei einem Filmdreh alles schiefgehen dürfe und man so lange Geduld habe, bis die Glühbirne gewechselt, der Akku geladen, das Kostüm fertig geschneidert sei. Nur der Schauspieler müsse alles sofort hinkriegen. Er habe „nur selten die Möglichkeit, erst einmal in Ruhe zu scheitern, um sein Werk dann zu verfeinern.“ Dieser Satz hat mich sofort angesprungen. Erwarten ich/wir/Sie doch häufig, dass alles sofort und völlig richtig klappt. Wir haben zwar auch die Erfahrung gemacht, dass wir scheitern. Aber trotzdem integrieren wir es selten in unser Lebenskonzept. Und das macht es dann für eine/n selbst und die jeweilige Umwelt so anstrengend, wenn wir ungnädig mit uns selbst und neuen Situationen umgehen.
Das gilt für den gebrochenen Arm wie für das schlechtere Sehen, für den notwendigen Umzug, die schmalere Geldbörse. Je höher der Kreativitätspegel, desto leichter wird´s. Ach ja, die „Unterstützung – durch-Verbündete-Quote“ ist auch nicht zu unterschätzen.

In diesem Sinne ab ins Kino

„Quartett“, Regie Dustin Hoffman, mit der wunderbaren Maggie Smith
„Das Lied des Lebens“, Regie Irene Langemann mit dem Komponisten Bernhard König und dem Kölner Experimentalchor „Alte Stimmen
„Vergiss mein nicht“, Regie David Sieveking über seine Mutter, die ihr Gedächtnis verlor und die Geschichte, wie er seine Eltern neu entdeckte


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4 Kommentare zu “Ein gutes Leben: erst mal in Ruhe scheitern”

Ursula sagt:

Guten Morgen,
Ich bin für zwei Wochen abgetaucht auf „meine“ Insel. Extra etwas später als sonst, damit es wärmer ist und es meinem Mann besser geht, da er bedingt durch Asthma große Probleme bei eiskaltem Wind hat. Tja, wir sind angekommen bei Schneeverwehungen und es ist bitter kalt und meinem Mann geht es schlecht ( hat seine Erkrankung schon mitgebracht) und so üben wir uns in dem Finden und Erhöhen unseres Kreativitätspegels. Ich mit mehr Erfolg als er. Für ihn ist es furchtbar, dass er so krank und kraftlos ist und wirklich gar nix machen kann und von mir umsorgt werden „muß“. Dazu die Gedanken, wenn das später im „richtigen“ Alter noch schlimmer wird, dann…….
Ich, vielleicht etwas geübter im Annehmen von unvorhergesehenen und unangenehmen Situationen nehme die Situation an ( „es is wie es is“) und mache mit meinem Kreativitätspinsel das Beste draus: es ist ein anderer Urlaub, dennoch sind wir auf einer wunderbaren Insel, es ist eisig aber schön. Wir haben eine tolle Wohnung, haben Urlaub sind zusammen und sind dieses Mal nicht abgelenkt durch äußerliche Bummeleien in Westerland, üben dabei noch den schön lange angestrebten „Konsumverzicht“, sparen viel Geld. Ich widme mich mental meiner neuen „metabolischen Lebensweise“, koche aus wenig die leckersten Sachen und genieße sie dann. „Wenig ist mehr“, wenn man es als Herausforderung annehmen kann. Ich lerne in diesem Urlaub viel, weil ich immer noch das „Viele“ sehe und empfinde, was vorhanden ist.
Mein Wunsch ist es auch meinen Kreativitätspegels immer weiter zu erhöhen, damit ich bis ins hohe Alter im „Wenig“ viel sehen und genießen kann. „Raum und Platz fürs Scheitern einzurichten“, der Gedanke gefällt mir und wird mich heute an den Weststrand begleiten.
Stürmische und eisige Grüße, mit ganz viel Herz

Ursula

Ursula sagt:

Noch schnell ne kleine Ergänzung:

„Unterstützung – durch-Verbündete-Quote” ist auch nicht zu unterschätzen.“

Diese Unterstützung möchte ich auch nicht missen und die ist für mich halt auch vorhanden. Immer einmal wieder bimmelt mein iPad oder Handy und es kommt eine, manchmal nur winzige Nachricht, manchmal ein Roman, von einem lieben Menschen. Wir sind miteinander verbunden, ohne Zwang zum Schreiben, einfach dann, wenn es passt. „Nix muß, alles kann“.
Diese Form in Verbundenheit ist mir sehr wichtig, ersetzt nicht di persönlichen Kontakte, ergänzt sie aber auf reichhaltige Art.
Ich war jahrzehntelang gegen Jegliche Form von Computer und Netz.
Nachdem ich mich aber vor einigen Jahren offen dafür gemacht habe, kann ich es mir fast überhaupt nicht mehr ohne vorstellen.
Das erlebe ich auch in meiner Arbeit mit alten Menschen. Vor 10 Jahren hat niemand bei Wohnungsbesichtigung nach Internetanschluss, WLAN gefragt. Heute kommt die Frage öfters und auch der Satz: „So kann ich doch mit all denen, die mir wichtig sind, verbunden sein.“ Finde ich toll!

Ursula

ebz sagt:

Ich auch! Danke für diese wichtige Ergänzung!

ebz sagt:

Wunderbar! Das ist was ich „Übe das Älterwerden wie eine Kunst“ nenne. Noch eine gute Zeit auf der Insel!

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