Den „Sinn-Sinn“ schärfen
Immer wieder taucht sie auf, umkreist uns, lässt uns mitunter rat- und saftlos zurück. Die Frage nach dem Sinn des Lebens. „Hat mein Leben Sinn gemacht?“ Das fragt man sich mit 40, 50, 60, 70, 90…, ach eigentlich immer mal wieder.
Ich hatte schon immer das Gefühl, dass an dieser Frage etwas nicht stimmt. Jetzt hab ich´s:
“Sinn” wird in der Regel so verstanden, dass man ein bestimmtes Ziel verfolgt und erreicht. Zum Beispiel streben viele nach Erfolg in der Arbeit. Sie kümmern sich darum die Kinder großzuziehen oder versuchen, sichtbare Werte zu hinterlassen. Oft genug hat man diese Ziele erreicht, doch ein Fragen und Sehnen bleibt. Das geschieht mit 40, wenn man auf die Midlife Crisis zusteuert genauso wie mit Mitte 60. Es wird immer drängender, je mehr man auf die Möglichkeit zusteuert, dass man sein Leben nicht mehr mit Geschäftigkeit ausfüllen kann. Ich glaube, dass die Angst vor dem hohen Alter auch darin begründet liegt, dass man dann nichts mehr tun kann. Und dass dadurch das Leben keinen Sinn mehr haben könnte.
Was uns wirklich berührt
Natalie Knapp, eine Philosophin hat ein hochspannendes Buch geschrieben, den „Kompass neues Denken. Wie wir uns in einer unübersichtlichen Welt orientieren können“. Hier erklärt sie, dass Sinn ursprünglich eigentlich “nicht Ziel oder Zweck sondern Richtung und Bewegung” bedeutet. Sie schreibt: “Wir finden diese Bedeutung noch im Wort `Uhrzeigersinn`. Ein Leben muss also keinen Zweck verfolgen, um sich `sinn-voll` anzufühlen, aber es muss in eine bestimmte Richtung unterwegs sein. Ob wir die richtige Richtung einschlagen, lässt sich an einfachen Zeichen ablesen: `Sinnvoll` ist, was uns wirklich berührt.” (S. 224)
Wie sieht Ihr Leben aus, wenn Sie es aus dieser Sicht heraus betrachten:
„Was waren und sind Erfahrungen, Menschen, Erlebnisse, die mich wirklich berühren?“
Woran merke ich überhaupt, dass mich etwas berührt? Frau Knapp fährt fort mit einem Kapitel über “Resonanz”. Ich erkläre es mal so: eine Saite an der Gitarre oder der Geige wird gezupft bzw. gestrichen und der Ton entsteht durch das Vibrieren des Instrumentenkörpers. Verstehen wir uns selbst als Resonanzkörper, können wir spüren: wann schwingt mein Herz, wann der Geist, der Körper?
Ich glaube übrigens, dass das nicht immer „glückliche“ Gefühle sein müssen. Ich habe bei einer Sterbebegleitung erlebt, dass nicht nur ich, sondern eine ganze Familie in tiefe Resonanz mit dem Sterbenden, dem Sterben ging und dabei zutiefst und auf wunderbare Weise berührt war.
Während eines Besuchs bei einer bettlägerigen alten Dame erlebte ich, dass sie im gemeinsamen Singen plötzlich ihre Stimme und schließlich 13 Strophen von „Befiehl du deine Wege“ wieder fand. Das brachte uns beide zum Schwingen.
Ich habe auch manchmal solche Erlebnisse, wenn ich ein Buch lese oder ein Bild betrachte, mich mit jemand unterhalte, in die rosa Blütenpracht greife. Plötzlich schwingt etwas in mir, macht mich erstaunt, froh, selig, wach. Das sind die Momente in denen der „Sinn-Sinn“ zum Tragen kommt.
Statt also bis in alle Ewigkeit den großen Zielen hinterher zu hecheln, fordere ich Sie heraus, Ihren Sinn – Sinn zu schärfen und den Momenten des wirklich berührt Seins nachzuspüren.
Was berührt Sie wirklich? Tun Sie mehr davon: es stärkt Ihren “Sinn-Sinn”