Bei Adam und Eva neu anfangen
Heute eine Vorabveröffentlichung meiner Sonntagspredigt. Ich habe die Gedanken meiner neuen Entdeckung www.worthaus.org zu verdanken (und zwar genau hier http://worthaus.org/mediathek/die-beziehung-von-mann-und-frau-genesis-2-18-21-25-3-3-1/. Grandiose und unterhaltsame theologische Vorträge, knallharte Exegese, befreiende Gedanken, für alle jene, die mit plattem Bibelgedöns nichts anfangen können. Meine Empfehlung für die Winternächte! Im Laufe dieses Textes lande ich außerdem beim Thema „Faire Mode“. Die im Kontext des Tags der Menschenrechte. Mehr zu „Fair Wear“ hier: http://www.ci-romero.de/
Heute fange ich bei Adam und Eva an. Weil es immer einmal wieder gut ist, an den Anfang zurückzukehren und von dort aus den Weg neu zu sehen – oder gar neu zu begehen.
Ich habe aber auch einen adventlichen Anlass: Die Familie einer Freundin schmückte ihren Weihnachtsbaum neben Kerzen, Sternen und Äpfeln immer mit einem nackten Paar. Ein Mann und eine Frau, aus Wachs modelliert: es waren Adam und Eva. Na so was! Die ersten Menschen am Weihnachtsbaum? Im Mittelalter, als die Menschen noch nicht selbst in der Bibel lesen konnten, gab es Mysterienspiele. Also wie bei uns heute die Krippenspiele, wurde damals vor vielen hundert Jahren die Geschichte von Adam und Eva nachgespielt: und zwar am 24. Dezember. Er heißt nach alter Tradition auch der „Geburtstag von Adam und Eva“. Man erinnerte sich damals an die Urahnen, spielte die Geschichte im Paradies und die Vertreibung daraus mit Adam, Eva, Schlange – und Baum. Da es Winters keine üppigen Obstbäume gab, wurde ein Tannenbaum mit Äpfeln und hostienförmigen Gebäcken geschmückt. Letztere sollten die Ankunft des Erlösers symbolisieren.
Der Baum ist uns geblieben. Er glänzt und leuchtet und rührt in uns eine Sehnsucht an. Die Sehnsucht nach etwas unendlich Heilendem. Die Sehnsucht, dass wir im Frieden mit uns selbst, unseren Nächsten und Fernsten sein können – ja, gerne auch im Frieden mit Gott. Die Sehnsucht, ganz Mensch sein zu dürfen: ohne Scham, ohne Schuld, froh und frei in unseren Körpern und unserer Sexualität. Die Sehnsucht, zu spüren: so bin ich richtig. Und die Sehnsucht in gesunden Beziehungen zu leben.
Damals wurde Adams und Evas Geschichte als der Anfang vom Ende dargestellt: die Vertreibung aus dem Paradies war die Pointe. Die Menschen wurden als sündig gebrandmarkt und damit unter Druck gesetzt. Man musste sich von den Sünden wieder freikaufen, um nicht in der Hölle zu landen. Und leider hat das bis in die Neuzeit nachgewirkt. Ich möchte heute mit Ihnen einen kleinen Satz aus der Paradiesgeschichte genau anschauen und mit Ihnen meine schönste und befreiendste Entdeckung in diesem Advent teilen.
Es ist der Vers 18 im 2. Kapitel des im 1. Buch Mose. Zuvor hat man von der Schöpfung der Welt gelesen, von dem wunderbaren Garten, von dem die Fülle des Lebens mit Flüssen in alle Himmelsrichtungen in die Welt fließt, von herrlichen Bäumen und Früchten. Und bisher war alles gut. Gott betrachtet Stück für Stück sein Werk und immer wieder stellt Gott fest: es ist gut, ja sehr gut. Doch nun, nachdem Gott aus Erde vom Acker, die hebräisch „adamah“ heißt, den Menschen „adam“ gemacht hat, muss Gott feststellen: Hier ist etwas noch nicht gut. Und er spricht so mit sich selbst, wie wir manchmal etwas mit uns selbst ausmachen, sagt zu sich: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei“. Hier wird in der hebräischen Bibel beschrieben und ganz entscheidend an den Anfang gesetzt, was in der Wissenschaft (soziologische Anthroplogie) „Sozialität“ genannt wird. Nämlich, dass wir Menschen aufeinander angewiesen sind, in Beziehung zueinander leben, in gegenseitiger Anerkennung und Unterstützung. Es ist nicht gut, allein zu sein. Ja, das wissen all die besonders gut, die in diesen Tagen alleine leben und darunter leiden. Es ist auch nicht gut, nur auf sich selbst bezogen um sich selbst zu kreisen. Auch das ist eine Form des Alleinseins.
Gott beschließt, das grundsätzlich zu verändern. Martin Luther hat diesen Vers folgendermaßen übersetzt und damit eine fatale Tradition weitergeführt, die bis heute nachwirkt. „Gott, der Herr, sprach: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei; ich will ihm eine Gehilfin machen, die um ihn sei.“ Durch diese Übersetzung ist etwas schief geraten, was die Beziehung von Frauen und Männern bis heute ungleich machen kann und belastet. Die Frauen wurden dadurch in eine untergeordnete Lage versetzt. Als Helferin und Dienerin des Mannes verstanden, statt als Gegenüber.
Doch im Hebräischen steht hier etwas ganz anderes. Gott beschließt, ein „ezer“ zu schaffen. Das ist im Hebräischen ein männliches Wort und es bedeutet „Hilfe“ im Sinne einer „Rettung“, also nicht nur ein bisschen beistehen, sondern eine Hilfe in schwierigen Zeiten, in Bedrohung. Ein Professor für Altes Testament hat sich die Mühe gemacht und alle Nennungen von „ezer“ in der Bibel untersucht (es sind um die 50) und siehe da: außer an dieser einen Stelle ist es immer Gott, der als „ezer“, als Hilfe und Rettung bezeichnet wird. Sie kennen vielleicht aus Psam 121: „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen. Woher kommt mir Hilfe? Meine Hilfe kommt von dem Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat. Er wird deinen Fuß nicht gleiten lassen, und der dich behütet, schläft nicht.“ Oder in Psalm 146 (V 5): „Wohl dem, dessen Hilfe der Gott Jakobs ist,…“ Es geht weiter: „, …der Recht schafft denen, die Gewalt leiden, der die Hungrigen speist. Der Herr macht die Gefangenen frei. Der Herr macht die Blinden sehend. Der Herr richtet auf, die niedergeschlagen sind.“ Das ist nicht ´mal ein bisschen helfen´. Das ist tiefe, grundlegende, das Leben verändernde Rettung. Und so etwas´, eine grundlegende Rettung, will Gott für dieses Wesen schaffen, das Gott aus dem Ackerboden gemacht hat, Adam. Zunächst schafft Gott die Tiere. Was das für unser Verhältnis zu den Tieren aussagt, wäre eine ganz eigene Predigt wert. Nur so viel. Überlegen Sie sich gut, ob Sie diese Weihnachten einen Vogel aus Massentierhaltung auf den Tisch bringen wollen. Adam baut eine besondere tiefe Beziehung zu den Tieren auf. Er gibt ihnen Namen. Das kann nur, wer sich wirklich mit ihnen auseinandersetzt, ihr Wesen erkennt.
Doch das reicht bei allem Guten, noch nicht aus. Und so kommt zum Zuge, was Gott im Sinn hatte. Gott schafft für das Wesen, das aus Erde geschaffen wurde ein weiteres Wesen, das ihm wirklich zutiefst nahe kommen kann. Und zwar „als Gegenüber“. Denn was Luther übersetzte heißt eigentlich so: Ich will ihm eine Rettung schaffen – als sein Gegenüber. „nägäd“ steht hier im hebräischen Text. Ein Professor Dr. Siegfried Zimmer vom „Worthaus“ hat das so erklärt. Zu den Zeiten als dieser Text geschrieben wurde, wusste jedes Kind, was ein „nägäd“ ist. Der Begriff beschreibt etwas aus der Architektur: Tore mit zwei oder drei Bögen, die sich gegenüber stehen. Das ist ein solides Gegenüber. Nicht eine rührige Seele, die um den anderen herumwuselt. Und der Professor erzählt weiter, dass er einmal ein Paar traute, die sich in zweiter Ehe einander ein Bild gaben: zwei Tannen, die stark und kräftig nebeneinander stehen: sie sagten: wir wollen zusammen wachsen, aber nicht zusammenwachsen. Also nicht ineinander auflösen, sondern mit gesundem Abstand gemeinsam durchs Leben gehen. So gibt uns die Bibel am Beginn eine Vorgabe, wie wir unsere Beziehungen leben und verstehen sollen: wir sind einander ein Gegenüber, auf Augenhöhe, und in gegenseitiger Verantwortung sind wir uns gegenseitig Rettung und tiefe Hilfe. Und das können wir getrost auf all unsere Beziehungen übertragen, die Menschen, denen wir nahe sind, nicht nur den Partner oder die Partnerin, auch die Kinder, die Tiere, die Menschen die unsere Nächsten und unsere Fernsten sind. Und das Kind in der Krippe gibt uns deutlich zu verstehen: Gott geht mit Haut und Haar in eine solche Beziehung zu uns: als Rettung und Gegenüber, dem ich aufrecht gegenüber stehen darf, dem ich mich vertrauensvoll in all meiner Bedürftigkeit hingeben darf. Von dem ich mich retten lassen kann.
Wie verändert dieses Wissen uns? Unser Verhalten? Mir sind diese Erkenntnisse in Bezug auf den Tag der Menschenrechte, der am 10. Dezember begangen wird noch einmal besonders nachgegangen. Die EKD hat für dieses Jahr die „Kampagne für Saubere Kleidung“ in den Mittelpunkt gestellt. Denn dieses Jahr sind an die zweitausend Näherinnen und Näher in Bangladesh, gestorben, weil sie dazu gezwungen wurden, in einem einsturzgefährdeten Gebäude zu arbeiten. Es waren illegal 3 weitere Etagen auf die bereits 5 Etagen hohe Fabrik gesetzt worden. Das Gebäude hatte über Nacht Risse bekommen. Aus Angst vor Gehaltskürzungen gingen die ArbeiterInnen dennoch in die Hallen. Diese stürzten kurz darauf ein. Die Frauen und Männer, die am 24.April starben oder verletzt wurden, sind es, denen wir als Rettung und Hilfe ein Gegenüber sind. So wie sie uns als Rettung und Hilfe ein Gegenüber sind. Wenn wir von Menschenrechten sprechen, dann ist zuallererst unsere Haltung anderen Menschen gegenüber gefragt. Aus einer Haltung, die faire, gerechte und einfühlende Beziehungen als Norm sieht, so wie der Beginn der Bibel es uns beschreibt, kann nur ein faires, gerechtes und einfühlendes Handeln folgen. Nun sind wir in einer komplexen und unübersichtlich gewordenen globalisierten Welt in der Regel ziemlich überfordert, wenn wir faires Handeln versuchen. Aber wir können Einfluss nehmen durch unser Verhalten. Braucht die Enkelin wirklich noch dieses weitere Billig-T-Shirt? Muss ich meinem Kind noch ein Plüschtier aus dem Discounter mitbringen? Muss in jedem Zimmer ein Fernseher stehen? Brauchst du wirklich ein Handy oder ein neues Handy? Bei jedem dieser Produkte ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass in der Produktion Menschen in Afrika und Asien ausgebeutet wurden, nur damit unsere Gier nach Neuem, Besseren, Schöneren befriedigt werden kann.
Inzwischen gibt es gerade unter den jungen Leuten neue Bewegungen: da ist Second Hand Mode cool, besonders weil man es nun Vintage nennt. Wunderbar. Das gibt es hier in Bad Orb auch zu kaufen. Upcycling ist eine neue kreative Bewegung, die den achtlos weggeworfenen Müll kreativ in neue schöne oder praktische Dinge verwandelt. Das macht außerdem noch richtig Spaß. Es gibt Menschen, die beschäftigen sich damit, wie man kaputte Dinge wieder reparieren kann, sodass man nicht ständig Neues kaufen muss. „Weniger ist mehr“ – ist ein Gedanke, den viele jetzt verfolgen und in ihr Leben umsetzen. Dabei heißt das nicht, dass wir jetzt nichts mehr „Made in Bangladesh“ kaufen sollen. Auf keinen Fall, denn die Frauen und Männer verdienen mit dem Nähen den Unterhalt für ihre Familien. Aber wir können bei jedem Einkauf fragen: woher kommt das, wie werden in den zuliefernden Betrieben die Menschenrechte eingehalten, wie sind die Arbeitsbedingungen, so lange, bis die Firmen ihr Verhalten ändern. Sie erinnern sich vielleicht, dass in den 80er Jahren die Frauen, auch die kirchlichen Frauen, eine große Boykottaktion gegen die Apartheid in Südafrika starteten. „Kauft keine Früchte aus Südafrika“ hat gewirkt. Wir können durch unser Verhalten hier im Alltag etwas in der Welt bewegen. „Made by Humans“ nennt die EKD ihre Kampagne. Kleidung aus Bangladesh und China: gemacht von Menschen. Geschöpfe Gottes, in diese Welt gestellt und in Beziehung zu anderen Menschen. Auch wenn sie fern sind: sie sind unser Gegenüber. Lassen Sie uns beharrlich weiterdenken, wie wir ihnen und sie uns Rettung werden.
„Alle Jahre wieder kommt das Christuskind auf die Erde nieder, wo wir Menschen sind.“ Lassen Sie uns Mensch werden. Wir können am Anfang beginnen. Alle Jahre, heute, auch morgen wieder. Beim Weihnachtseinkauf genauso wie in unseren Beziehungen. Wir haben gute Unterstützung: „Kehrt mit seinem Segen ein in jedes Haus, geht auf allen Wegen mit uns ein und aus.“
Hier finden Sie viele Informationen im EKD Materialheft „Menschenrechte in der Wirtschaft“
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