„Spiritualität ist bunt, bereitet Freude“: Devotionalien Bornweg 42
Ich bin auf einer neuen heißen Spur in Sachen Spiritualität und Älter werden. Hier lesen Sie meine Predigt zum Sonntag Jubilate, der wunderbaren Apostelgeschichte Kapitel 17 und einem Kunstwerk von Dorothee Becker, das mich überhaupt erst auf die heiße Spur brachte. Weiter unten finden Sie den Link zur Utube-Dokumentation der Performance „Devotionalien Bornweg 42“
Am Karfreitag brach es aus der 4 ½ jährigen Enkelin, die seit ein paar Tagen bei ihrer Oma weilte, heraus: alle schlimmen Geschichten, die sie gelesen, im Fernsehen gesehen und zuhause und im Kindergarten gehört hatte purzelten in ihrem Jammer von Heimweh und abendlicher Müdigkeit vor Omas Ohren. Diese horchte besonders auf bei “:und der Mann ist am Kreuz gemordet worden und der Jesus ist wieder aufgestanden und…“ Da war kein Trost.
Ich erinnere mich an die Zeit, als mein Kind im selben Alter war und ich mich kaum traute, sie mit in die Marienkirche in Gelnhausen zu nehmen. Denn dort hängt über allem ein riesiger, ziemlich deprimierender Gekreuzigter, der einem ganz schön Angst einjagen kann. Ich frage mich schon lange, welche Bilder von Gott und Jesus wir unseren Kindern mitgeben können, damit sie sich gestärkt und getragen fühlen, so ganz grundsätzlich im Leben und besonders dann, wenn es schwierig wird.
Die Reformatoren waren sich sehr klar über die Macht der Bilder. Weil die Menschen nicht lesen konnten, waren ihnen die mit Bildern ausgeschmückten Kirchen eindrückliche Zeugnisse des christlichen Glaubens. Dort sahen sie die Heiligen, Jesus und sein Leiden, ja sogar Gott im Himmel thronen. Doch Gott war dadurch festgelegt, das Leiden und Leben Jesu in Stein gemeißelt und in dramatische Farbe gegossen. Oft waren es Bilder, die Angst machten, die nicht den Glauben an die Auferstehung stärkten, sondern die Furcht vor dem Zorn Gottes und dem Fegefeuer nährten.
Bilder sind mächtiger als Worte. Sie bleiben im Gedächtnis hängen, wenn die Worte längst verklungen sind. Martin Luther fürchtete, dass die Bilder, die Menschen unfrei machten. Wie sollte man Gott und Gottes Wirken in unserem Leben noch neu finden und erleben können, wenn schon alles festgemalt ist. Die reformierten Gemeinden haben das Gebot „Du sollst dir kein Bildnis machen“ so ernst genommen, dass dort nur noch ein Altar steht und den nennen sie Tisch oder Abendmahlstisch. Irgendwie kann ich das nachvollziehen – auch wenn ich ein Mensch bin, der Bilder liebt.
Als Paulus auf seiner Missionsreise durch Griechenland in der Philosophen – Metropole Athen ankam, muss er von der Bilderwelt des griechischen Götterhimmels ziemlich beeindruckt gewesen sein. Statuen an jeder Ecke, wie es scheint. Die schöne Athene, der bechernde Dionysos, der Pfeile der Liebe verschießende kleine Eros, Erdmutter Demeter, Göttervater Zeus und viele viele mehr. Dort ging es zu „wie auf Erden so im Himmel“, allzu menschlich das Lieben und die Eifersucht, das Wachsen lassen und das Morden, das im griechischen Götterhimmel stattfand. Kein Wunder, dass es ihn, Paulus, aufregte diese Bilder zu sehen, denn er hatte Gott ganz anders erfahren. Viel tiefer und ins Innerste bewegend. Gott hatte sein Leben völlig umgekrempelt. Er war vom Christenverfolger zum Missionar geworden. Er hatte die heilende Kraft des Lebens gespürt und gab sie weiter.
Damit kam er in Athen richtig schlecht an. Hier diskutierte und philosophierte man gerne. Seine Story von einem Schöpfer und seinem auferstandenen Sohn, war hier nur ein Gedanke unter vielen. Immerhin fanden die Athener es interessant genug, um Paulus auf den Areopag zu ziehen und mit ihm weiter zu reden. Es war der Gerichtshof, doch damals zur Zeit der römischen Besatzung der Areopag nur noch für religiöse Fragen und Erziehungsfragen zuständig. Wahrscheinlich hat man nur mit Paulus diskutiert und ihn nicht vor Gericht gestellt. Denn die Athener waren sehr bildungshungrig. Ich finde das sehr sympathisch: die Leute hatten Interesse, Neues zu erfahren.
Paulus erzählt in seiner Rede, dass er beim Umherwandern in der Stadt den Altar „Für den unbekannten Gott“ entdeckt habe. Wie wunderbar, dass die Athener in all ihrem bunten Götterwirrwarr noch diesen Raum des Geheimnisses offen gelassen hatten.
Wie mag der Altar wohl ausgesehen haben? Weißer Marmor vielleicht? Nur ein Tisch, sonst nichts? Oder geschmückt mit Früchten und Blumen? War hier der Ort für die Suchenden? Wurden hier Gedichte hingetragen, haben hier Menschen gesessen und meditiert? War hier ein Ort, an dem eine ganz neue Begegnung mit dem Göttlichen möglich war?
Paulus trägt in seinem philosophischen und poetischen Vortrag ebenfalls eine neue Weite ein. Er beschreibt, dass wir Geschöpfe Gottes sind, aber nicht im Umkehrschluss Gott menschlich beschreiben können. Wir Menschen – damals wie heute – tun das ja – uns Bilder vom Göttlichen machen, damit wir irgendwie näher heran kommen. Drum laden wir in vielen Kirchen heute wieder die Kunst ein, uns Brücken zu schlagen zu dem immer wieder unbekannten Gott. Denn Gott bleibt un-fassbar, so beschreibt es schon Paulus.
Hier geht´s zur Performance: http://youtu.be/msoDK0u21c8
Und so nehme ich nun eine Gedankenschleife in die Gegenwart:
Am Ostermontag hat Dorothee Becker in einer Performance eine religiöse Erbschaft in den Blick genommen, die viele von Ihnen vielleicht auch kennen.
In einem alten Haus in einer „Bornweidstr. 42“ fanden sich auf engen 72 qm in jedem Zimmer und Flur insgesamt über zwanzig Stücke der Andacht: Andachtsbilder, Kruzifixe, Dürers Betende Hände, Leonardos Abendmahlsszene in Holz und vieles mehr.
Man nennt diese Andachtsgegenstände Devotionalien, die im katholischen religiösen Gebrauch gerne von Wallfahrten mitgebracht werden.
Schritt 1 Die geballte Spiritualität aus Stube, Küche, Wohnzimmer, Schlafzimmer und engen Fluren wird auf einer Platte noch einmal zusammen geführt. Dieser Akt ist geprägt vom Respekt vor der Spiritualität der Vorfahren, dem Glauben, der sich aus diesen Gegenständen nährte.
Zugleich führte es vor Augen, was die jüngere Generation in der Kindheit und im Erwachsenwerden bedrückte – und vielleicht auch Angst machte, wie heuer bei dem Enkelkind, von dem ich Eingangs berichtete. Was mir und vielen anderen, die bei der Performance dabei waren entgegenkam, war geballtes Leid. Ein gequälter Jesus, dunkle Bilder, sogar die Engel wirkten bedrückend. Diese Bilder prägten eine Glaubensgeneration, in der das Leid vorherrschte. Denn da war viel Leid. Auf den Dörfern war das Leben hart, Armut und Kriege setzen dem Leben den Stempel auf. Ob nun evangelisch oder katholisch: es war gut, das eigene Leid im Leiden Jesu gespiegelt und aufgenommen zu sehen.
Doch irgendwann drückte diese Sicht auch viele nieder. Wenn das Leiden und die dunklen Farben die Deutungsmacht in unserem Leben haben, können wir selbst irgendwann kaum noch atmen. Bilder haben die Macht, Leiden fest zu schreiben.
Schritt 2: Die Künstlerin übermalte alles in mit weißer Farbe. Man könnte sagen, das was zuvor an Wirkung da war, wurde wie eine weiße Wand neutralisiert. In unserem Kulturkontext ist Weiß die Farbe des Anfangs, der Reinheit, der Leere, ja der Heiligkeit (weiße Antependien). Es war erstaunlich zu sehen, wie die Devotionalien nach und nach eine ganz andere Strahlkraft bekamen. Es war mir, als würde das Wesen des christlichen Glaubens wieder zum Vorschein kommen. Ein Bild des Gekreuzigten verschwand völlig. Vielleicht eine Rückkehr zum Unbekannten Gott?
Schritt 3: Leuchtende Farbpulver, so strahlend blau, rot, gelb, violett, grün, dass man am liebsten sofort hinein greifen wollte. Dieses Farbpulver wird in Indien zum Holifest verwendet. Dies ist der einzige Tag, an dem die Grenzen des Kastensystems außer Kraft gesetzt werden. Einen Tag lang liefern sich alle, ob alt oder jung, oben oder unten im sozialen System eine ausgiebige Farbenschlacht, aus der alle von Kopf bis Fuß knallbunt herauskommen. Was für ein Bild!
Die Künstlerin warf diese Pulver auf die geweißten Devotionalien. Herrliche Farbwolken stiegen auf und ließen sich auf dem Bild nieder. Sie brachte zum Ausdruck, was viele von uns heute empfinden:
„Spiritualität und Religiosität bringt Farbe, ist bunt, bereitet Freude, macht Lust zu entdecken, bringt Licht und Farbe ins Leben.“
Und so steht das Ergebnis heute nun vor uns: man sieht, den Gekreuzigten – und er ist bunt. Für mich bedeutet das dies: das Leben hält die leidvollen Seiten bereit. Es ist so, das Leben. Aber das Schwierige und Leidvolle hat nicht die Macht, uns zu bestimmen. Wir leben unser Leben nicht aus dem Leiden heraus, sondern aus der Farbe, der Freude, der schöpferischen Kraft. Durch sie wandelt sich das Schwierige. Es hat keine Macht mehr über uns. Es ist eine Auferstehungskraft. Die will ich meinem Kind und den Kindern mitgeben. Sie stärkt uns, wenn wir verzagen. Paulus sagte das ganz poetisch: „in Gott leben, weben und sind wir“.
Diese Arbeit hier ist ein Auferstehungsbild, so sehe ich das.
Und nun mag es mir so gehen, wie Paulus auf dem Areopag. Einige von Ihnen gehen nach Hause und denken „so ein Quatsch“, andere mögen spüren: hier rührt mich etwas an, das möchte ich auch. Und einige von Ihnen treffe ich gerne am Altar für den unbekannten Gott wieder. Und dort reden wir weiter, dort werden wir die Bilder des Glaubens immer wieder neu finden und gestalten und verwerfen und neu erfinden.
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