Wie schmeckt der Himmel?
In der Silberschmiede in Kassel lud ich dazu ein, sich zu erinnern: vor langer Zeit oder erst gestern: wann haben Sie etwas gegessen, das Sie selig gemacht hat, das himmlisch schmeckte? Erinnern Sie sich, wer dabei war, wie es roch, den Geschmack, die Textur des Essens.
Frauen, geboren in den 1920ern und 30ern und jünger erinnerten sich an himmlisches Essen.
Als da wären:
- Ein Mohrenkopf, in kleinsten Bissen eine ganze Woche lang genossen.
- Das alte Brot, das in der elterlichen Bäckerei übrig blieb, in der Pfanne geröstet; noch heute ein himmlisches Vergnügen.
- Eine Tafel Schokolade, vom Schwarzmarkt mitgebracht. Herrlich! Aber warum so klein?! Die Schreibtafeln sind doch viel größer!
- Der Kräutersegen aus dem eigenen Garten.
- Frisches Brot, klein geschnitten; bei Großmutter stand ein Glas Zuckersirup nur für die Enkelin. Die Brotstücke hineintauchen…
- Thüringer Klöße, für die große Familie wurde ein großer Sack Kartoffeln schon am Vorabend geschält.
- Dampfnudeln mit Vanillesoße.
- Kandiszucker, ein Stück bloß, die Kanten rau. Im Mund hin und her geschoben, auf der Straße stehend, damit es alle sehen können!
- Ein Topf Milchreis, in Mutters Bett fertig gegart und von den allein heimkommenden Kindern mit Genuss und Muttergefühl gegessen.
- Brotscheiben, am Morgen von den Kindern selbst auf dem Holzherd geröstet. Auch verbrannt eine Freude.
- Armer Ritter! In Brot-Varianten.
- Nach der Ernte im Kartoffelfeuer gegarte frische Kartoffeln, mit den Fingern gegessen, das Gesicht kohlenverschmiert.
- Bei Nachbars stibitztes Brot mit Sirup, von der Mutter wegen Zuckermund ertappt.
Keine Sahnetorte, kein fetter Braten, keine kulinarisch ausgefuchsten Leckereien. Brot in seiner ärmsten Form. Kartoffeln, gemeinschaftlich zubereitet. Zucker in dreierlei Gestalt. Im Mangel den Himmel gefunden und nicht vergessen.
Biblische Gegenrede – oder Zuspitzung?:
Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeglichen Wort, das durch den Mund Gottes geht. (Mt 4,4)
Vielleicht so, wie Mütter in manchen Völkern ihre Kleinkinder füttern: ein Stück in den eigenen Mund, gekaut, dem Kind in den Mund gesteckt. Vom Brot und mehr Leben empfangen. Gott füttert mit Lebensworten.
Und was ist überhaupt himmlisches Essen?
Plötzlich reißt es dich aus dem Alltag heraus, steigt dir in die Nase, zerfließt im Mund, schickt dich direkt ins Seufzen. Kleine Glückseligkeit breitet sich im Schlund aus und trifft das Herz. Ein Vorgeschmack auf das Paradies – oder eine Erinnerung? Ein solcher Himmel lässt sich mit Freude erwarten: ich werde nicht nur satt, ich werde durch und durch genährt sein und zuhause.
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