Der Blog für die zweite Lebenshälfte

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#heimkommen – Der Einsame schlägt zurück

Veröffentlicht in: Allgemein, Bücher/Filme, Endlichkeit, Geronto-was? Theorie ganz praktisch, Ideen für Gruppen

Für alle, die es noch nicht mitbekommen haben: im Netz kursiert gerade das neue Weihnachts – Werbe – Video von EDEKA. Gucken Sie erst mal…

Na? Taschentuch gezückt? Ca 15 Mio mal – vermutlich inzwischen mehr – wurde dieses Video angeklickt, kommentiert, in Facebook und sonstwo geteilt. Als ich es gestern zum ersten mal sah, habe ich kurz gezuckt und es dann lieber nicht geteilt.

Einsamkeit macht uns ratlos
Heute morgen sitzen wir am Runden Tisch 60+ in Hanau mit VertreterInnen von Kommune, Diakonie und Altenhilfe zusammen und plötzlich kommt das Gespräch auf diesen Clip. Wir sitzen hier und reden, weil  wir wahrnehmen, wie viele Menschen schon jüngeren Datums offensichtlich vereinsamen und wir uns fragen, wie wir diese Menschen erreichen, bevor sie völlig abgetaucht sind. Hier und an anderen Stellen werde ich mit der Frage konfrontiert: Wie gehen wir mit den Alten um, die alleine daheim sitzen und vergeblich auf ihre Familie warten – wenn sie denn noch eine haben? Können wir sie noch erreichen? Oder haben sie aufgegeben? „Ach, wenn du meinst, dass du mich besuchen willst? Na gut, wenn du meinst, dass das was bringt, wegen mir brauchste nicht kommen…“

Und da taucht dieser #heimkommen – Typ auf und inszeniert seinen eigenen Tod, damit die Mischpoke endlich mal wieder zu Weihnachten anrückt. Wir sind uns sehr uneinig!

  • Einsamkeit mißbraucht als Werbeträger!
  • Super!, ein einsamer Mann wird selbst aktiv und dreht den Spieß rum!
  • Ganz schön makaber, die Kinder zur eigenen Beerdigung zusammen zu trommeln.
  • An Weihnachten ist die Familie doch das wichtigste!
  • Ach ja? Und dann sitzt so mancher da in der Familienhölle und hofft dass die heilige Zeit schnell rum ist.

Der Geist der vergangenen Großvater-Weihnacht
Wissen Sie was? Diese Familienidylle ist doch so was von durch. Die traute Kinderschar um den Großvater geschart unterm Weihnachtsbaum, das ist ein konstruiertes Bild des Biedermeiers. Neunzehntes Jahrhundert! Damals ging das übrigens mit der Stilisierung der Großeltern als den weisen Traditionsträgern los, die im Ohrensessel den Kindern Geschichten erzählen. Vorher gab´s das nicht. Da haben die Alten gearbeitet bis sie tot waren. (Wer das genau wissen will, empfehle ich von Christian Mulia „Kirchliche Altenbildung“ zu lesen – sehr interessant!) Und seither versuchen wir dieses Ideal immer wieder zu konstruieren und als DEN Sinn von Weihnachten zu begreifen. Die HEILIGE FAMILIE. Nun gut. Wie Sie wissen, hatte es die ursprüngliche heilige Familie eher weniger gemütlich. Aber es ist anscheinend wie bei Charles Dickens´Weihnachtsgeschichte. Die Geister der vergangenen Weihnachten holen uns immer wieder ein.

Familie verstreut  – Nachbarschaft nah
Der demografische Wandel: Die Jungen gehen dort hin, wo sie Arbeit finden. Die Alten hängen an ihrem Wohnort. Bleiben zurück. Wenn es um Hilfe, echte Begegnung, Gemeinschaft geht, haben die Kinder oft überhaupt nicht mehr die Möglichkeit sich ihren Eltern so zuzuwenden, wie die sich das vielleicht erträumen. Auch wenn die Kinder das gerne tun würden! Und dass Eltern und Kinder „BFF – Beste Freunde für Immer“ sein sollen, ist auch noch nicht gesagt. Alltägliche, schöne, nützliche, bedeutungsvolle regelmäßige Beziehungen hat man mit Nachbarn, FreundInnen, SportskollegInnen etc.

Für mich hätte der Spot zeitgemäß so geendet: Der alte Herr lädt die Nachbarn ein, sie kochen zusammen und haben einen vergnügten Abend.
Ich weiß. Im richtigen Leben ist das unmöglich. Noch. Ich hab das selbst schon versucht. Einmal von den vielen Anläufen hat´s geklappt. Leider haben meine Gäste dann das alte Familie-Weihnachtsprogramm abgespult plus das Gejammer über wie es früher so schön oder blöd war. Zumindest ist bisher es an Weihnachten unmöglich. Aber vielleicht schaffen wir ja auch hier einen Kulturwechsel, der es den Familien erlaubt, zuhause zu bleiben oder sich mit Freunden zu treffen, statt ganz unidyllisch zwischen den Eltern, Schwiegereltern, Stiefeltern und sonstigen Patchwork Verpflichtungen hin und her zu hetzen. Die kann man doch in Ruhe wann anders besuchen. Dann kann man auch über wichtige Dinge sprechen, denn…

Das schlechte Gewissen schlägt zu
Der Grund, warum der Clip meines Erachtens emotional so reinhaut, ist das Gewissen, das einen manchmal daran erinnert, dass die Eltern ja doch sterblich sind. Und man müsste sich mehr kümmern. (Dazu s.o.) Interessant finde ich aber die Beobachtung, dass Menschen um die 50 in eine Phase kommen, in der es sie wirklich interessiert, welche Geschichten die Eltern zu erzählen haben. Ich glaube inzwischen, das braucht so lange. Vorher hatten wir zu viel anderes zu tun. Um die 50 sortiert man sich noch mal neu und dann entstehen auch die Fragen über damals: als die Eltern aufwuchsen, als wir Kinder aufwuchsen, wie habt ihr wirklich gedacht? Erinnere ich das richtig…

Und hier könnte die Emotion uns ein Stückchen nach vorne schubsen und sagen: so nun lass uns mal reden. Die Gans und die Klösse sind lecker und was ich euch schon lange fragen wollte… Dazu braucht´s kein Weihnachten. Das geht immer.

*****
Was hat eigentlich Heimkommen mit EDEKA zu tun? Na ja, dann schaun sie mal auf die Gans beim Happy End. Eine Steigerung der alten Werbestrategie: verkaufe Gefühle, dann bleibt auch die Marke hängen, wird jetzt noch mit Wertedebatte gekrönt. Hübsch per Tränendrüse programmiert zum Einkauf, diesmal. Der letzte Spot von EDEKA war lustig. Und eins muss man ihnen lassen: da war auch ein alter Mann der Held. Das war in der Tat „Supergeil“!

 


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1 Kommentar zu “#heimkommen – Der Einsame schlägt zurück”

NadineL sagt:

Nun, das ist mit Sicherheit ein zwiespältiges Thema.
Aber ich finde, dass das Mittel immer noch angemessen ist, um auf das Problem der Vereinsamung aufmerksam zu machen.
Es ist doch vor allem für die Angehörigen traurig, wenn man sich denn dann erst vor dem Bestatter wieder sieht.

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