Anders älter – Die nächste Generation
(AZ) Als ich die 24 Kirchenvorsteherinnen und –vorsteher bat, sich nach Geburtsjahrgängen an die Tischgruppen zu setzen, geschah dies: 11 Männer und Frauen quetschten sich an den Tisch der in den 1950er Jahren Geborenen., am 40er Tisch waren es 5, am 60er Tisch 6 Leute. Am Rand saßen zwei Frauen, die in den 70ern geboren waren.
Da hatte ich die Offenbarung.
Dies ist demografische Entwicklung „life“! Wir verkörperten die Tannenbaum – Grafik (manche nennen sie einen Pils). Der dicke Balken in der oberen Mitte: Hier saßen sie als Menschen vor mir! Vergnügt, schick, diskussionsfreudig. Die 50er fragte ich: „Kommt Ihnen die Enge bekannt vor?“ Kräftiges Nicken. „Hallo Babyboomer!“ Wir fanden unter ihnen auch einen Hippie-im-Herzen, der am Ende des Tages die Vision eines Treffpunktes der Generationen formulierte, mitten im Ort an der Stelle, an der früher die Disco stand.
Als Sie so etwa 18 – 22 Jahre alt waren
Die Geburtsjahrgänge hatten folgende Aufgabe:
„Als Sie so etwa 18 – 22 Jahre alt waren:
– Welche Sprüche haben Sie damals geprägt?
– Was war für Sie politisch-gesellschaftlich von Bedeutung?
– Welche Musik haben Sie gehört?“
Das ist eine Forschungsreihe, die ich nun schon eine Weile betreibe. Es kristallisieren sich ein paar Dinge heraus, die immer wieder auftauchen, ob man nun mit Menschen aus der Stadt oder vom Land spricht. Sprüche, die die 40er-Geborenen mitnahmen:
– Jedes Ding hat seinen Ort …
– Wer feiern will, kann auch arbeiten/aufstehen.
– Das Leben ist ein Kampf.
– Erst sparen, dann kaufen
Bei ihnen sind musikalisch immer Elvis und Rock ‘n Roll oben auf.
Die 50er-Geborenen hörten Bee Gee’s, Beatles, Rolling Stones, Jimmy Hendrix, Bob Marley, ABBA, Peter Maffey, Pink Floyd, Janis Joplin, Roy Black und „make peace – not war“.
Allein diese kleine Beobachtung macht deutlich, wie anders die Menschen sind, die jetzt auf den Ruhestand zusteuern. Sie haben kulturell und politisch völlig andere Impulse und Werte mitgenommen als die Generationen, die derzeit noch die Seniorenkreise besuchen. Es verwundert also nicht, warum die Geburtsjahrgänge der späten 1940er und 50er kein Interesse am Seniorenkreis haben. Es ist einfach nicht ihre Welt!
Die neue Generation will…
In letzte Woche haben wir die erste „Silberschmiede“ im ländlichen Raum im Kirchenkreis Ziegenhain eröffnet. Auch hier habe ich diese Übung gemacht. Auch diese Gruppe wurde immer lebhafter, während man sich gemeinsam erinnerte. Wir fragten schließlich die auch hier gut vertretenen 50er Jahrgänge, wie sie sich selbst wahrnehmen im Vergleich zu den Menschen, die in den 30ern geboren wurden. Da kam ziemlich viel zusammen!
Diese neue Generation will
– selbst gestalten, Neues lernen (z.B. Sprachen)
– stellt ihre Zeit begrenzt zur Verfügung
– etwas für andere tun und etwas für sich selbst tun
– Dinge gemeinsam mit anderen unternehmen (gemeinsam statt einsam)
– muss aus der Vielfalt wählen – und hat das geübt
– ist mit Veränderungen vertraut (z.B. durch berufliche Wechsel, Umzüge, Brüche und Veränderungen in der Familie)
– hat gelernt ihren eigenen Weg zu gehen (Frauen wie Männer)
– will aktiv sein (sich bewegen, reisen…)
– ist politisch geprägt und interessiert
– ist im Internet unterwegs
– will selbst Akteur sein
– sorgt für das eigene Älterwerden vor (Wohnen, Mobilität, Gesundheit, Lebensumfeld)
– sorgt für die Älteren, dafür, was ihnen helfen kann und was auch in Zukunft trägt.
Vokabeln verlernen: z.B. „Angebot“
Das hat zur Folge, dass alle, die in Kirche, Kommunen, Wohlfahrtsverbänden und Vereinen auf diese Älteren zugehen möchten – und das sollten wir dringend, denn es sind viele! – ein paar Vokabeln werden ändern müssen.
Streichen wir zuerst das Wort „Angebot“. Hören sie auf, sich in Ihren Vorständen darüber den Kopf zu zerbrechen, was man denn für die Älteren anbieten könnte. Fragen Sie sie selbst! In der Silberschmiede haben wir Kleingruppen gebildet, in denen immer eine Person aus dem Jahrgang der 50er-Geborenen vertreten war. Die Gruppen sollten Ideen entwickeln, wie man Plattformen schaffen kann, über die die neue Generation erreicht und vernetzt werden kann. Die 50er-Geborenen hatten darüber hinaus die Aufgabe, die Vorschläge der anderen zu prüfen: Interessiert mich das? Spricht mich das an?
Das war hochspannend!
Als nächstes gilt es das Wort „helfen“ umzutüfteln. Ich habe da in eine interessante Unterhaltung hineingehört. Eine Frau sagte: „Ich möchte aktiv werden, selbst was machen!“ Ihre jüngere, kirchlich engagierte Gesprächsnachbarin fasste zusammen „Sie wollen also helfen.“ „Nein!“, rief die erste, „Ich will etwas für mich machen, ich will mich mit anderen treffen, gemeinsam was unternehmen, herausfinden, wie ich im Alter wohnen will…!“
Wir Kirchenleute haben das im Blut, die Sache mit dem Helfen. Wir fragen uns auch, wie wird die jüngere Generation uns helfen, wenn wir dann mal 80 sind. Doch auch dies greift nicht mehr. Bis wir 80 sind, werden wir Strukturen geschaffen haben, mit deren Hilfe wir auch ganz gut durch unser hohes Alter kommen. Aber nur, wenn wir jetzt damit anfangen.
Es ist also an der Zeit, die 45er-50er Geburtsjahrgänge ins Boot zu holen – na ja, eigentlich sind sie das Boot und die Steuerleute. Wir in Kirche, Kommunen, Wohlfahrtsverbänden und Vereinen können sie unterstützen, am besten tun wir das sogar zusammen! Wie genau man das machen kann, darüber werden Sie in nächster Zeit noch öfter von uns hören.
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