Zum Trotz. Vertrauen gepflanzt.
In unserer Arbeit geht es immer wieder um die Frage, wie ein gutes Leben aussehen kann. Für mich gehört zu einem guten Leben die Schönheit. Das ist für mich lebensnotwendig: Blumen, Farben, Kunst. Ein Verbündeter in Schönheits-Dingen ist Sebastian Schmid. Er findet immer wieder eindrucksvolle Formen, dem Schwierigen und Angstbesetzten im Spiel zu begegnen. Wie brisant diese Spur werden kann, zeigt die traurige Geschichte des letzten Gärtners von Aleppo.
Sebastian Schmid pflanzt Blumen in aufgebrochenen Beton am Straßenrand. Seine „ganz persönliche Antwort auf eine Welt, die an so vielen Ecken kaputt ist: Ich pflanze eine Blume in ein Schlagloch. Ich mein das nicht süßlich-romantisch verklärt. Ich verstehe das als handfesten, realen Akt, den man AUCH symbolisch deuten kann. Wie auch immer, es ist mir ernst: Irgendjemand muss irgendwo irgendwie anfangen.“
Sebastian pflanzt. Petunien, Wandelröschen, Fette Henne, Mille Flori, weiße Röschen, Sonnenblume. Nacheinander. Denn die Blumen verschwinden regelmäßig. Fein säuberlich ausgegraben oder abgerupft. Einmal ist Sebastian kurz vorm Aufgeben, doch schließlich nennt er seine Aktion „Zum Trotz“. Er macht weiter. Egal wie lange.
Als er die weißen Rosen pflanzt, schreibt er mit Kreide in großen Buchstaben VERTRAUEN unter das Schlagloch. „Was wird zuerst verschwinden: Vertrauen oder Blume?“, fragt er sich. VERTRAUEN bleibt. Regen wäscht die Buchstaben fort.
Sisyphus lässt grüßen, denken Sie sich vielleicht. König Sisyphus wurde von Hermes in Ewigkeit dazu verdammt, Tag für Tag einen riesigen Stein einen steilen Hang hinauf zu rollen, der kurz vor dem Gipfel wieder herunter rollte. Im Gegenteil. An diesem kleinen Ort tut Sebastian, was ich Tag für Tag wieder einzuüben versuche: in die Brutalität und Zerstörung, die nun auch meine kleine Welt erreicht hat, täglich die Schönheit einzupflanzen und das VERTRAUEN nachzuzeichnen, mit Kreide.
Und schließlich: Auf frischer Tat ertappt. Sebastian schreibt: „Eine Familie mit sichtbarem Migrationshintergrund steht nun mit einem Kinderwagen genau an dem einen Schlagloch, aus dem die Pflanzen immer wieder geklaut werden. … Ich habe mich schon oft gefragt, wer es wohl ist, der sich die Blumen holt. Und wozu. Und ob derjenige sich auch fragt, wer es wohl ist, der die Blumen hier pflanzt. Und wozu. Wir führen ein unsichtbares Gespräch – ohne uns zu kennen. Aber jetzt sieht es so aus, als lernten wir uns gleich kennen und als klärten sich diese Frage auf. Ich kann es zwar noch nicht ganz genau erkennen, aber es ist offensichtlich: Die Mutter hat sich gebückt und sie hat etwas in den Kinderwagen gepackt. Dann geht die ganze Familie weiter. Sie kommen direkt auf mich zu. Ich versuche zu erkennen, was sich unten im Kinderwagen befindet. Als sie fast auf meiner Höhe sind, sehe ich die Blumen. Nicht im Kinderwagen und nicht in einer der Taschen, die sie tragen, sondern dort wo ich sie eingepflanzt habe: im Schlagloch. Alle noch da.
‚Was aber haben sie dann dort getan?´ Ich bin verwirrt. Im Kinderwagen, wo ich die ausgegrabene Pflanze vermutet habe, ist nur eine Kinder-Trinkflasche. Als ich aber beim Schlagloch ankomme, wird es mir klar: Die Pflanze ist frisch gegossen. Die Familie muss das Trinken des Kindes mit der durstigen Blume geteilt haben. Ich bin gerührt und beschämt.“
Manche Geschichten müssen weitererzählt werden. #IhrseiddasSalzderErde.
Sebastians Blog ist voll solcher Geschichten. Hier geht´s zu seinem Blog
Pfarrerin Annegret Zander, Fachstelle Zweite Lebenshälfte, Hanau
Zuerst veröffentlicht im Gelnhäuser Tageblatt „Mittendrin“ am 3. September 2016