Der Blog für die zweite Lebenshälfte

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Spiritualität und Älterwerden – Was trägt die Babyboomer – Generation?

Veröffentlicht in: Andacht/ Spiritualität, Geronto-was? Theorie ganz praktisch

Spiritualität und Älterwerden - Was trägt die Babyboomer - Generation?Ein Gastbeitrag von unserer Kollegin Barbara Hedtmann, Koordinationsstelle Erwachsenenbildung Seniorenarbeit, FB I, Evangelischer Regionalverband Frankfurt am Main

Als Einstimmung zum 5. Studientag Spiritualität und Alter – „I can´t get no – satisfaction…“
Was trägt die „jungen Alten“?

Eine neue Generation von Alten wächst heran: die Friedens-Bewegten, die Hare Krishna – Bewegten, die Öko-Bewegten, die Anti-Apartheit-Bewegten, die Befreiungstheologisch- Bewegten, die Frauen-Bewegten und dann als zusammenfassender Überbegriff: die Babyboomer-Generationen und die Generation, die sich kritisch mit vorgegebener religiöser Sinngebung auseinandergesetzt haben und es noch heute tun oder sie auch strikt ablehnen. Mit der langen Lebenserwartung in unserer heutigen Gesellschaft   stehen diese neuen Alten-Generationen vor der Aufgabe sinnstiftende Antworten für die Lebensphasen im  Alter zu finden. Vielen  werden  die klassischen Lebensmodelle und traditionellen religiösen kirchlichen Konzepte und Angebote nicht mehr ausreichen oder sie lehnen sie grundsätzlich ab. Wenn Spiritualität Lebenshilfe und Stärkung sein kann, dann muss Spiritualität , so vermuten wir, die Veranstalter dieses Studientages, für und mit diesen „neuen“ Alten entweder neu gedacht oder das Hergebrachte neu belebt werden. Nach dem 4. Studientag Spiritualität und Alter, an dem die Hochbetagten und Langlebigen im Vordergrund standen,  war dies der Grundimpuls für den  5. Studientag Spiritualität und Alter –  „I can´t get no satisfaction…“Was trägt die „jungen Alten“?

Aber wer sind diese neuen Alten?

Die Friedens-Bewegten:
Seit der Aufrüstung der Vertragsstaaten von NATO und Warschauer Pakt mit Atomwaffen in den 1950er Jahren wuchs eine neue Friedensbewegung heran, die sich etwa mit den Ostermärschen eine jährliche Demonstrationsform schuf. Mit der  in den 1960er Jahren sich entwickelnden internationalen Opposition gegen den Vietnamkrieg  trat die Friedensbewegung dann zeitweise zurück. Erst mit neuen Aufrüstungsschritten und -plänen der NATO ab 1979 entstand in einigen westlichen Staaten eine breite, länderübergreifende und auf Zustimmung großer Bevölkerungsteile gestützte Friedens-bewegung, die als Nahziel die im NATO-Doppelbeschluss angekündigte Raketenstationierung verhindern und mittelfristig andere Sicherheitskonzepte und langfristig vollständige atomare Abrüstung durchsetzen wollte. Heute ist die  Friedensbewegung noch aktiv, aber nicht mehr so im Blick der Öffentlichkeit. Die Frage ist, was die Menschen heute im Rückblick an Erfahrungen gesammelt haben und wie diese für ein sinnvolles Leben im Alter genutzt werden können.

Die Hare Krishna – Bewegten:
Vielleicht ist die Hare Krishna-Bewegung ein Ausdruck der Sinnsuche dieser Generation. Hare ist der Vokativ des Wortes „Hara“ – Gottes Energie, womit Krishnas Gefährtin Radha gemeint ist. Rama bedeutet wörtlich „Freude“ und bezeichnet den siebenten Avatar des Gottes Vishnu. Krishna ist eine hinduistische Gottheit und bedeutet unter anderem „der Allanziehende“. Die Internationale Gesellschaft für Krishna-Bewusstsein, im Westen besser bekannt als Hare-Krishna-Bewegung, ist eine 1966 von Abhay Charan Bhaktivedanta Swami Prabhupada gegründete Organisation, deren Anhängerinnen und Anhänger man nicht mehr so häufig z.B. in den Innenstädten beten und singen hört. Wo sind diese Menschen heute verankert und ist diese religiöse Einstellung und Haltung eine Stärkung  für die Lebensbewältigung im Alter?

Die Öko- Bewegten:
Die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts schufen infolge der Ölpreiskrise ein neues Bewusstsein für die Endlichkeit von Rohstoffen. Sie waren buchstäblich die Geburtsjahre des organisierten Umweltschutzes und auch das Design des internationalen Symbols für Recycling stammt aus dieser Zeit. „Am 9. November 1973 führte die Regierung Willy Brandt befristete Energiesparmaßnahmen in Form des Energiesicherungsgesetzes ein. Angewandt wurde das Gesetz an den vier Sonntagen vom 25. November bis zum 16. Dezember 1973. Außerdem sollte ein Tempolimit von 100 km/h auf Autobahnen Benzineinsparungen bewirken. Obwohl während der gesamten Ölpreiskrise kein realer Benzinmangel bestand, nahmen die westlichen Industrienationen durch die imaginierte Knappheit der Ressource Rohöl zum ersten Mal potentielle Grenzen des Wachstums wahr. Dass die Einsparmaßnahmen der Regierung jedoch ökonomisch und nicht ökologisch begründet waren, zeigt die Abschaffung des Energiesicherungsgesetzes nach dem Ende der ersten Ölpreiskrise“, schreibt die Internetseite Umwelt und Erinnerung. Diese Öko-Bewegung hat in vielen Bereichen der Bevölkerung ein Umdenken hin zu verantwortlichen Handeln bewirkt. Auch die Engagierten der „ersten Stunden“ sind oder kommen in die Lebensphasen des Alterns mit einer kritischen Haltung und Gestaltungs-willen an.

Die Anti-Apartheit-Bewegten:
Dann gab es die Anti-Apartheid-Bewegung „Kauft keine Früchte aus Südafrika!“  Die „tatkräftigste Bündnispartnerin dieser Kampagne“ sei die Evangelische Frauenarbeit Deutschland gewesen, schreiben Jürgen Bacia und Dorothee Leidig im Buch „Kauft keine Früchte aus Südafrika!“  Sie standen vor deutschen Supermärkten und Banken, hielten Mahnwachen ab, schrieben Transparente, verteilten Flugblätter und diskutierten in Fußgängerzonen und Gemeinden über die Trennung nach Hautfarben und die unmenschlichen Arbeitsbedingungen auf den Plantagen in Südafrika. „Kauft keine Früchte der Apartheid“, lautete die Forderung ab Mitte der 1970er Jahre an die Kundinnen und Kunden in Deutschland, „Kein Geld für Südafrikas Rassenpolitik“ der Aufruf an die Banken und Konzerne. Auch diese Bewegung hat etwas bewirkt, aber was ist aus den Akteurinnen geworden? Mit welchen Erfahrungen und Vorstellungen gehen diese in die neuen Lebensphasen des Alterns?

Die Befreiungstheologisch –Bewegten
Diese gesellschaftskritischen Aufbrüche mit dem starken Bedürfnis an persönlicher,  gesellschaftlicher und politischer Verantwortung und Mitgestaltung  findet  ein theologisches Echo in der latein-amerikanischen Befreiungstheologie. „Die Befreiungstheologie oder Theologie der Befreiung ist eine in Lateinamerika entwickelte Richtung der christlichen Theologie. Sie versteht sich als „Stimme der Armen“ und will zu ihrer Befreiung von Ausbeutung, Entrechtung und Unterdrückung beitragen. Aus der Situation sozial deklassierter Bevölkerungsteile heraus interpretiert sie biblische Tradition als Impuls für umfassende Gesellschaftskritik. Dabei bezieht sie sich auf eine eigenständige Analyse der politökonomischen Abhängigkeit (Dependenztheorie) und arbeitet für eine basisdemokratische und überwiegend sozialistische Gesellschaftsordnung. … Die Grundkonzepte der Befreiungstheologie entstanden seit etwa 1960 aus der Selbstorganisation von katholischen Basisgemeinden in Brasilien…Die überwiegend katholische Befreiungstheologie empfing Anregungen vom Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–1965) und wirkt in die Ökumene sowie in den sozialkritischen Protestantismus hinein. ( Vergl. Wikipedia)

Dorothee Sölle, Theologin und Sprachwissenschaftlerin, war  eine der wichtigsten Vertreterinnen  im protestantischen Bereich, die diese gesellschaftlichen Fragen  weiter entwickelt hat. Ihr besonderes  Thema war die feministische und politische Theologie, die Theologie der Befreiung und die  Mystik. Ihr  Leben und Arbeit entziehen sich jedoch  jeder vorschnellen Zuschreibung und Einordnung: „Sie konnte weder von den Frommen noch von den Politischen, weder von den Konservativen noch von den Aufklärern ganz eingefangen werden. Sie erlaubte sich, die jeweils andere zu sein – den Frommen die Politische, den Politischen die Fromme, den Bischöfen die Kirchenstörerin und den Entkirchlichten die Kirchen-liebende.“ (Fulbert Steffensky „Nachwort zu einem Leben“) Vor dem Hintergrund ihrer Gedanken, Texte und Gedichte ließe sich eine „neue“ Spiritualität für das Altwerden und Alt Sein entwickeln.

Die Frauen-Bewegten
„Wir sind die Frauen-Befreiungs-Front!“ riefen in den 1970er Jahren die rebellierenden Frauen von New York bis Berlin: Sie hatten es satt, von Männern bevormundet zu werden. Sie wollten ihr Leben selbst in die Hand nehmen. Sie kämpften für eine Welt, in der Frauen und Männer wirklich gleichberechtigt sind. Und in der es Spaß macht, eine Frau zu sein. 1949 setzte die sozial-demokratische Abgeordnete Elisabeth Selbert durch, dass die Gleichberechtigung in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland aufgenommen wurde. Artikel 3 lautet somit: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“. (Vergl.: www.planet-wissen.de.) Die Frauenbewegung hat vieles in Bezug auf die Geschlechtergerechtigkeit erreicht, was heute selbstverständlich erscheint: Frauen dürfen wählen gehen;  Frauen dürfen auch als Mütter beruflichen Erfolg haben; Männer dürfen den Haushalt und die Kindererziehung übernehmen –  um nur ein paar Beispiele zu nennen. Es gibt allerdings noch oder wieder offene Forderungen: z.B. „Gleicher Lohn für alle“.
Im christlichen religiösen Kontext entwickelte sich die feministische Theologie.

Die feministische Theologie
Die feministische Theologie ist eine seit den späten 1960er Jahren stark gewordene und der Emanzipation der Frau zuzuordnende theologische Richtung. Sie ist verwandt mit der Befreiungstheologie und − sowohl in Denkansätzen als auch in wissenschaftstheoretischem Anspruch − mit der feministischen Wissenschaftstheorie verbunden. Die feministische Theologie im weiteren Sinn umfasst ein breites Spektrum unterschiedlicher und zum Teil gegensätzlicher Denkbewegungen in verschiedenen Religionen und Regionen der Welt. Ihnen gemeinsam ist die Infragestellung traditioneller Gottesbilder, religiöser Institutionen und Praktiken unter feministischer Perspektive. Im engeren Sinn wird darunter die christliche feministische Theologie verstanden, die in Europa und den USA im Kontext der Frauenbewegung entstanden ist und wichtige Impulse aus der ökumenischen Bewegung und der Erneuerungsbewegung innerhalb der Katholischen Kirche nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil erhielt. (Vgl. Wikipedia). Eine ihrer  bedeutendsten Theologinnen in Deutschland war Elisabeth Moltmann-Wendel. „Die Bibel sei vielleicht das interessanteste Buch der Frauenemanzipation, urteilte Elisabeth Moltmann-Wendel in einem  Interview …. Nach ihrer Promotion war ihr Anfang der 1950er-Jahre eine Anstellung in der Kirche verwehrt worden. Ein Vierteljahrhundert später wurde die protestantische Theologin eine der Mütter der feministischen Theologie in Deutschland, schrieb zahlreiche Bücher und war Mitherausgeberin des Wörterbuchs der Feministischen Theologie. (Vergl.: www.evangelischefrauen-deutschland.de) Von ihr liegt ein unveröffentlichter Vortrag anlässlich der Tagung „In die Jahre gekommen – Feministische Theologie des Alterns und des Alters“ vom 23. Und 25. Juni 2006 in der Evangelischen Akademie Bad Boll vor. Er ist nur für den internen Gebrauch vorgesehen – aber Anregungen für die Fragestellung der Bedeutung von Spiritualität und Alter im feministischen Kontext ließen sich hier gewinnen.

Die Kirchentage der 1960er
Viele dieser oben beschriebenen Themen finden sich auch auf den Deutschen Evangelischen Kirchentagen der 60er Jahre wieder:
1965 12. Deutscher Evangelischer Kirchentag in Köln: „In der Freiheit bestehen“
1967  13. Deutscher Evangelischer Kirchentag in Hannover: „Der Frieden ist unter uns“
1969 14. Deutscher Evangelischer Kirchentag in Stuttgart: „Hungern nach Gerechtigkeit“
Die Evangelische Kirche wurde herausgefordert zu den Fragen Stellung zu nehmen und zu handeln. Die Frage ist, ob sich die Erfahrungen und Haltungen in den lebensgestaltenden spirituellen Angeboten der Evangelischen Kirchengemeinden wiederfinden und die Menschen einer selbstbewussten Generation auch dort für ihr Alter(n)  eine Antwort finden.

Die Babyboomer
Dies ist eine übergreifende Definition für die zukünftigen RuheständlerInnen und fasst noch mal Lebensbedingungen und deren Auswirkungen auf eine ganze Generation zusammen.
Unter Baby-Boomer versteht man die geburtenstarke Generation in den Jahren 1950 bis 1965 in Europa und Amerika. Sie begann aufgrund des zunehmenden Wohlstandes und der damit verbundenen verbesserten Nahrungsmittelaufnahme kurz nach Beendigung des zweiten Weltkriegs und endete schließlich auf ihrem Höhepunkt aufgrund der Markteinführung der Anti-Baby-Pille.  Charakteristisch für diese Zielgruppe ist die große Kaufkraft . Ein weiteres Merkmal der Baby-Boomer-Generation ist, dass sie im Laufe ihres Lebens ein beträchtliches Vermögen angesammelt haben und somit ihren Lebensabend im Wohlstand verbringen können. Problematisch ist jedoch folgendes: Ende der 1970er-Jahre begann für einen Teil der Babyboomer ein brüchiger und unsteter Berufsweg mit geringfügiger Beschäftigung, schlecht bezahlten Tätigkeiten, Niedriglohn und Leiharbeit. Wer zu wenig verdient und Zeiten der Arbeitslosigkeit erlebt, kann nur wenig Rentenansprüche erwerben. Das ist der Grund, warum sich die Schere zwischen Arm und Reich für die Babyboomer im Alter weit öffnen wird.

Eine lebensbegleitende Erfahrung dieser Generation war, dass sie nie einzeln auftraten. „In der Familie, im Freundeskreis, im Kindergarten, im Sportunterricht, in der Schule, in der Universität, im Wehrdienst – das waren einfach immer riesig große Gruppen -, da ist es, glaube ich, ganz natürlich, dass dann jeder einzelne sich so ein bisschen zurücknehmen muss. Anders ging es ja gar nicht. Das sind Dinge, die haben wir mit der Muttermilch eingesogen.“ Und weil diese Generation sich immer auch um sich selber kümmern musste und sich wie oben beschrieben auch gesellschaftlich aktiv eingebracht haben wird sie sich im Alter nicht in  vorgegebenen Normen und Angeboten wiederfinden, sondern neue bedarfsgerechte Wege suchen. „Vor allem müssen wir eines vor Augen halten, dass diese Babyboomer ihr Schicksal nicht einfach absitzen im Alter, sondern es proaktiv auch in Angriff nehmen. Also diese Generation, die das Alter bunt macht, polyvalent auch und individualisiert.“ Im Rahmen der demographischen Entwicklung wird die Gesellschaft mit der Generation der Babyboomer  insgesamt altern – dank Medizin, gesundem Lebensstil und Wohlstand. Wie die sozialen Verhältnisse in 30 oder 40 Jahren aussehen werden, ist jedoch keine Frage der Demografie – sondern des gesellschaftlichen Ringens um die Zukunft. „Weil es eben eine Generation ist, die, ja, in der Tat, sozial veranlagt ist, sehe ich das eigentlich ganz positiv. Solange es die Babyboomer noch gibt, wird das schon alles irgendwie funktionieren, und die werden sich irgendwie auch im Alter als Rentner selber organisieren. Wir sind viele, irgendwie kriegen wir das in den Griff. Irgendwie funktioniert das schon.“
(Vergl. Billig, Susanne, Geist, Petra Jahrgang 1964 Die Babyboomer und die demografische Forschung)

Wir sind gespannt auf diese heterogen, individuelle Zielgruppe der neuen Alten und wollen mit ihr zusammen  Antworten  auf ihre  spirituellen, sinnstiftenden Fragen suchen. Auf dem Fachtag soll dieser Vielfalt durch fachspezifische Vorträge und individuellen Arbeitsgruppen nachgegangen werden.

Barbara Hedtmann, Koordinationsstelle Erwachsenenbildung Seniorenarbeit, FB I, Evangelischer Regionalverband Frankfurt am Main
Rechneigrabenstr. 10
60311 Frankfurt am Main
T.: 069 92105 6678
Mail: barbara.hedtmann@frankfurt-evangelisch.de

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1 Kommentar zu “Spiritualität und Älterwerden – Was trägt die Babyboomer – Generation?”

Bin gespannt auf die Antworten.
Herzliche Grüße
Petra Schuseil

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