Der Blog für die zweite Lebenshälfte

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Allein leben geht zusammen besser: Es lebe Nachbarschaft!

Veröffentlicht in: Allgemein, Corona - Was geht?!, Geronto-was? Theorie ganz praktisch, Hoch!Alt, Ideen für Gruppen, NACHmachBAR

Allein leben geht zusammen besser: Es lebe Nachbarschaft!Da sitze ich nun seit Wochen in meinem Homeoffice mit meinem auf ein bis zwei Menschen beschränkten Körperkontakt. Immerhin den habe ich. Jemand am Tisch beim Essen. Eine Umarmung zwischendurch. Reden ohne Bildschirm dazwischen. Nebeneinander auf dem Sofa sitzen und beim Zeitunglesen Wärme spüren.

Trotzdem gehe ich jeden Tag raus, laufe auch für eine Kleinigkeit zum Laden. Am liebsten zum Metzger, weil der immer gut gelaunt ist. Auch die Verkäuferin in der Bäckerei ist immer für ein Schwätzchen zu haben. Darum gehe ich hin. Im Kühlschrank wäre noch genug zu essen gewesen.

„Du sollst daheimbleiben.“ Wie geht´s Ihnen?

Nun gibt es Leute, die leben allein und sollen nicht rausgehen. Nicht zum Einkaufen, nur im Notfall zum Arzt. Engagieren in der Hausaufgabenhilfe, bei der Tafel, im Altenheim: fällt aus. Kartenspielen, Äppler auf dem Wochenmarkt, Computerkurs, Wandergruppe: fällt aus. Seit Wochen. Risiko. Sie wissen schon. Wie geht es denen?

Ich habe ein wenig herumtelefoniert und höre:
Es gibt solche, die kommen gut zurecht. Sie haben sich feste Telefonkontakte zugelegt, mit denen sie regelmäßig in Kontakt sind. Die Kontakte vertiefen sich auf eine schöne Weise mit Menschen, die man sonst nur flüchtig kannte. Sie freuen sich auch über die Anrufe von ihrem Nachbarschaftstreff. Gehen spazieren, machen den Garten. Auch wenn es nicht schön ist, so wird es doch eine Weile noch ganz gut gehen.
Die Engagierten engagieren sich weiter. Sie rufen „ihre Leute“ an, schreiben Karten und Emails. Auch sie machen den Garten. Und wenn sie irgendwie Platz im Freien haben, laden sie 1-2 Personen ein, denen das guttun könnte. Mit Abstand natürlich. Für einen Schwatz und einen Kaffee.

Dann gibt es die, die nach den vielen Wochen, in denen sie zuhause geblieben sind und die regelmäßigen Fixpunkte im Tagesablauf alle wegfielen, nun den Halt verlieren. Die Engagierten (Haupt- und Ehrenamtliche), die mit ihnen telefonieren merken es: verwirrte Gedanken, dunkle Gedanken. Sie bauen auch körperlich ab. Menschen, die bisher allein in ihrer Wohnung gut zurechtkamen, werden sehr bald viel Hilfe benötigen.

Und dann sind da noch die, mit denen niemand telefoniert.
Ich habe mit einer Psychiaterin gesprochen. Sie sagt, die Situation würde immer schlimmer. Die Psychiatrien und gerontopsychiatrischen Stationen füllen sich mit Menschen, die mit den Folgen des Corona-Lockdown nicht zurechtkommen. (Wie Sie da helfen können, dazu habe ich unten mehr geschrieben.)

Kontakt hilft – Was und wie aushandeln

Sie sagt auch: Kontakt würde helfen. Regelmäßiger menschlicher Kontakt. Nebeneinander auf dem Sofa sitzen. Karten spielen. Reden. Einen kleinen Spaziergang machen. Menschliche körperliche Nähe. Regelmäßig.
Es spräche nichts dagegen, sagt sie, dass Menschen, die so isoliert leben und damit dem Kontakt mit dem Virus weitgehend entzogen sind, sich zusammentun. Es bräuchte klare Absprachen und Regeln. Man müsste aushandeln, wie und wann und wo und vor allem: was, wenn eine/r der 2 – 4 Personen-Gruppe plötzlich doch einem Risiko ausgesetzt war.
Aber dann könnten sich diese kleinen Gruppen gegenseitig Halt geben, Freude, Anregung, einen Grund sich zurechtzumachen und wieder in Bewegung zu kommen.

Wir stecken derzeit alle, alle Generationen gleichermaßen, in Aushandlungsprozessen. Wir gestalten im Rahmen der langsamen Lockerungen des Lockdowns unsere Kontakte mit der Familie, mit Freundinnen und Freunden, mit Menschen aus unseren Engagementfeldern. Wir tun das mit großer Vorsicht und gegenseitiger Verantwortung, aber auch in dem Bewusstsein, dass jede und jeder Verantwortung für sich selbst trägt. Die Goldene Regel gilt auch hier „Alles, was ihr wollt, dass euch die Menschen tun, das tut auch ihnen!“ (Mt 7, 12) Darum endet unsere Freiheit auch dort, wo wir andere in Gefahr bringen. Aber bis dorthin können wir doch vorsichtig und tastend und mit Sicherheitsabstand weiterhin für uns selbst und andere Sorge tragen, uns verbinden und unterstützen.

Nachbarschaft hilft

Als Nachbarinnen und Nachbarn können wir uns gut gegenseitig unterstützen. Jetzt natürlich mit zwei Metern Abstand und viel Luft dazwischen. Aber auch „nach Corona“ wäre es schön, wenn es weiterginge.

  • In meiner Straße treffen sich drei Nachbarinnen nachmittags um vier auf dem Bürgersteig: mit Stuhl, Kaffee und Sonnenhut und halten dann ihr Schwätzchen. Da darf man sich auch dazustellen.
  • Ich weiß von einer Frau, die sich ein gemütliches Kissen in das Fenster legt, das nach vorne auf die Straße schaut. Dort ist sie jetzt häufig zu sehen und grüßt alle die vorbeikommen.
  • Mein Nachbar gegenüber hat mich in seinen Garten eingeladen. Das könnten Sie auch tun: ab und an, für die, die keinen Garten haben. Zum Reden und „Umeinander sein“, wie er sagte.
  • Wenn Sie für jemand einkaufen gehen, nehmen Sie sich gelegentlich auch Zeit für ein Schwätzchen. Das ist vielleicht nötiger als die Butter.

So helfen Sie, wenn jemand den Halt verliert

Noch etwas habe ich von der Psychiaterin gelernt: Als Nachbarin oder Nachbar sind Sie oft am nächsten dran. Wenn Sie merken, dass es ihrer Nachbarin gar nicht gut geht, wenn sie ganz offensichtlich den Halt verliert, in ihrem Haushalt nicht mehr zurechtkommt und/oder verwirrt ist, dann rufen Sie bitte beim Sozialpsychiatrischen Dienst Ihres Landkreises an. Am besten natürlich auch mit ihr zusammen, wenn sich das irgendwie machen lässt. Wenn das nicht möglich ist, ist es dennoch völlig in Ordnung, dort anzurufen. Die Mitarbeitenden dort wissen, was zu tun ist und können Ihrer Nachbarin, dem Nachbarn dabei helfen, wieder Struktur und Halt in ihr Leben zu bringen. Als Nachbarn haben Sie da übrigens mehr Möglichkeiten als zum Beispiel die Pfarrerin oder der Pfarrer oder auch Ehrenamtliche, die der Schweigepflicht unterliegen. Bitte scheuen Sie sich nicht! Sie können mit einem Anruf Schlimmeres zu verhindern.

Auch digital Neues versuchen

Wir werden noch eine Weile in unseren Corona-Kokons leben müssen. Das ist auch die Gelegenheit, in digitalen Dingen dazu zulernen. Ich lernte kürzlich in einem Treffen, das über eine „Zoom“ – Videokonferenz stattfand, eine 86-jährige Frau kennen, die bei allem Respekt vor der digitalen Welt doch sehr begeistert ist: Trotz ihrer Gehbehinderung kann sie nun auf digitalem Weg wieder am Bibelkreis teilnehmen! Das wünscht sie sich auch für „nach Corona“. Sie versucht nun ihre Bekannten dazu zu bringen, sich auch mit Zoom zu beschäftigen („nur wenige Klicks und die Sache läuft“), damit sie wieder zusammen spielen können. Schauen Sie hier:  Route55plus: Wir treffen uns per Zoom

Als Nachbarin und Nachbar können Sie auch digital helfen: Wenn Sie wissen, wie man auf dem Smartphone eine App herunterlädt, dann beraten Sie andere dabei. Das geht auch mit Abstand. Als erstes sollte die „Teamviewer“- App heruntergeladen werden. Dann kann jemand aus der Ferne, zum Beispiel die Enkelin oder ein Freund beim Rest helfen, weil die dann direkt auf das Handy zugreifen und beim Einrichten anderer Apps unterstützen können.

Gemeinsam geht´s leichter. Wir brauchen uns als Nachbarinnen und Nachbarn. Jetzt und später auch noch.

P.S: Am 29.5. ist „Tag der Nachbarn“ https://www.tagdernachbarn.de/de/tipps/sichere-nachbarschaftshilfe-darauf-solltest-du-achten

Wichtige Rufnummern
Telefonseelsorge 0800 111 0 111
Pflegetelefon 030 201 79 131

Pfarrerin Annegret Zander


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