Neues Angebot: Grundkurs im Seewandeln
Als sich Anfang des Jahres abzeichnete, dass wir so ein starkes Hochwasser kriegen würden, schrieb ich kurzerhand und kurzfristig ein Seminar aus: „Grundkurs im Seewandeln.“ Die `Wächtersbacher Seenplatte`, also die Wiesen rund um die über die Ufer getretene Kinzig wären doch optimal, um mit Anfängern das Seewandeln zu üben, dachte ich; Sie wissen schon, so wie Petrus, auf der Wasseroberfläche gehen. Ich weiß jetzt nicht, ob es daran lag, dass die Werbung in den Zeitungen zu kurzfristig rauskam. Jedenfalls meldeten sich nur eine handvoll Leute an. Ich lies den Kurs trotzdem stattfinden. Manchmal muss man klein beginnen. Ich kenne das: im dritten Jahr läuft´s dann richtig gut.
Nun wollte ich Sie wenigstens auf diesem Wege an den Ergebnissen teilhaben lassen. Ganz protestantisch begannen wir am Anfang erst einmal mit dem Lesen des zum Seewandel dazugehörigen Bibeltextes.
Matthäus 14, 22-33: Und alsbald trieb Jesus seine Jünger, in das Schiff zu treten und vor ihm hinüberzufahren, bis er das Volk gehen ließe. 23 Und als er das Volk hatte gehen lassen, stieg er allein auf einen Berg, um zu beten. Und am Abend war er dort allein. 24 Und das Boot war schon weit vom Land entfernt und kam in Not durch die Wellen; denn der Wind stan dihm entgegen.
25 Aber in der vierten Nachtwache kam Jesus zu ihnen und ging auf dem See. 26 Und als ihn die Jünger sahen auf dem Meer gehen, erschraken sie und riefen: Es ist ein Gespenst! und schrieen vor Furcht. (Lukas 24.37) 27 Aber sogleich redete Jesus mit ihnen und sprach: Seid getrost, ich bin’s; fürchtet euch nicht!
28 Petrus aber antwortete ihm und sprach: HERR, bist du es, so befiehl mir, zu dir zu kommen auf dem Wasser. 29 Und er sprach: Komm her! Und Petrus trat aus dem Schiff und ging auf dem Wasser, und kam auf Jesus zu. 30 Als er aber den starken Wind sah, erschrak er und begann zu sinken, schrie und sprach: HERR, hilf mir! 31 Jesus reckte sogleich die Hand aus und ergriff ihn und sprach zu ihm: Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?
32 Und sie traten in das Schiff, und der Wind legte sich. 33 Die aber im Boot waren, kamen, fielen vor ihm nieder und sprachen: Du bist wahrhaftig Gottes Sohn!
„Ist ja schon komisch, dass Jesus seine Jünger einfach so wegschickt.“, warf ich gleich ins anschließende Gespräch ein. Vorher haben sie sich abgerackert, mit 5.000 Leuten Brot und Fisch geteilt, waren mit vielen Menschen ins Gespräch gekommen, hatten Köpfe gestreichelt, Hände gehalten, Tränen getrocknet, viele viele bewegende Lebensgeschichten gehört, als sie so unter den vielen Menschen unterwegs waren. „Ach wissen Sie“, sagte ein älterer Herr, nennen wir ihn mal Herrn Breuer (hier steht nämlich jetzt das Sternchen, das darauf hinweist, dass alle Namen von der Redaktion geändert wurden), „ach wissen Sie, „ sagte er, „meine Frau und die andern Frauen auch, die muss man auch immer heimschicken. Die rackern sich immer ab in der Gemeinde, bereiten einen schönen Nachmittag vor, backen vorher den Kuchen noch selbst, dann machen sie Programm für die ganzen Leute und danach räumen sie noch auf und spülen und wenn sie dann noch anfangen den Boden zu fegen, dann sag ich, weil ich hole meine Frau dann ab – dann sag ich, also Mädels, jetzt macht mal Feierabend. Ihr habt jetzt wirklich genug geschafft für die Gemeinde. Jetzt lasst der Putzfrau ihre Arbeit und geht endlich heim. Ich sag Ihnen, „sagt Herr Breuer, „das ist richtig schwer, die da loszueisen.“ Das leuchtet mir ein und ich sehe vor meinem inneren Auge, wie die Jünger von Jesus in eine Art Zwangspause geschickt werden. Ab auf den See Genezareth. Das ist ja wie ihre Heimat. Schließlich sind sie Fischer. Ich stelle mir vor, dass sie da wieder Kraft tanken können für den nächsten Einsatz mit Jesus.
Jesus steigt ja schließlich selbst allein auf einen der Hügel, die den See umgeben. „Das hab ich auch gemacht“, sagt Frau Singer. Sie ist so Mitte Ende 60 und war bisher sehr still. Nun erzählt sie, dass sie nach dem Tod ihres Mannes erst ganz schön durcheinander war. Erst wusste sie gar nicht, was sie machen sollte. Saß nur immer zu Hause. Allein, ohne ihn am Esstisch. Schaute seine Sachen im Kleiderschrank durch, roch daran. Machte ihn wieder zu. „Eine schlimme Zeit war das“, sagt sie.
Dann hat eine Freundin sie eingeladen, mit nach Israel zu fahren, mit Biblisch Reisen. Das hatte sie schon immer interessiert, zu sehen wie es da aussah, in dem Land, in dem all die Geschichten spielten, die ihr so wichtig waren. Vielleicht irgendwie auch ihrem Glauben wieder näher zu kommen. Denn der war ihr im Laufe der anstrengenden Pflege ihres Mannes irgendwie abhanden gekommen. Sie hatte keine Zeit und keine Kraft mehr dafür gehabt, sagt sie. Und dann stand sie schließlich am See Genezareth und war ganz überrascht. Der war ja viel kleiner als sie sich ihn vorgestellt hatte. Eher so groß wie die Kinzigtalsperre. Und dabei noch überschaubarer mit all den hübschen Hügeln ringsherum. Zum Glück gab der Reiseleiter eine Stunde Freizeit. Und in der Zeit, zog sie sich vom Geplapper der anderen Reisenden zurück und stieg auf den Hügel hinter der Stelle, wo an die Speisung der 5.000 erinnert wird. „Und da“, sagt sie, „da war es auf einmal so still und warm, und ich saß auf dem trockenen Gras und dachte: vielleicht war Jesus genau hier´.
Und da fiel plötzlich alles von mir ab. Ich musste weinen und es erleichterte mich. Ich fühlte, wie meine Kraft wieder zurück kam. So als wäre ich eine der Frauen, die das Gewand von Jesus berührt hatten.(Mt 14, 36)“ Die anderen in der Gruppe nickten still. Man sah, wie sie sich an ihre eigenen stillen Orte zurückerinnerten und an die Kraft der Trauer.
Frau Singer war es dann auch, die Verwunderung darüber äußerte, was denn die Jünger so spät noch auf dem Wasser taten. „Vielleicht sind sie ja erst spät losgekommen“, meinte Herr Breuer. Das könnte sein, sagte ich. Es muss zwischen drei und sechs Uhr morgens gewesen sein. Ganz trocken war Herr Breuer es auch, der dann meinte, „ Na die Jünger müssen ja ganz schön müde gewesen sein, dass sie Jesus für ein Gespenst gehalten haben.“ Na ja hören Sie mal“, sagte eine Frau, so Anfang 40. „Die hatten ja schon ganz schön was hinter sich, und wer weiß, was wir todmüde in so einem Sturm in dunkler Nacht gesehen hätten.“
Ein Mann Ende dreißig, Herr Finkenbach, warf nun etwas ungeduldig ein, wann wir denn nun endlich zur Sache kämen. Schließlich hätte er sich ja hier zu einem Grundkurs im Seewandeln und nicht zum Quatschen angemeldet. Er bemängelte auch, dass in diesem Schriftstück ja keinerlei Handlungsanweisungen stünden, wie genau das Seewandeln vor sich ginge. „Man muss das halt einfach machen!“, sprach mutig Frau Singer, die sich von so einem Jungspund offenbar nicht die Butter vom Brot nehmen lassen wollte.
Bevor das Gespräch aus dem Ruder lief, lud ich die Gruppe zu einer Vorübung ein. Herr Finkenbach ließ sich’s gefallen (endlich was Praktisches) und auch die anderen ließen sich auf den Versuch ein, den ich mit Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, nun auch gerne unternehmen würde.
Wenn Sie also in der Lage sind, etwa 1 Minute zu stehen, lade ich Sie ein, sich hinzustellen, Sie können diese Übung aber auch im Sitzen machen.
Stellen Sie sich mit den Beinen etwa hüftbreit hin. Und probieren Sie einen Moment lang, wie sie mit Ihren Füßen einen guten Kontakt mit dem Boden aufnehmen können. Bleiben Sie dabei locker in den Knien.
Spüren Sie den Kontakt.
Spüren Sie den Boden unter Ihren Füßen.
Spüren Sie für eine Weile, wie dieser Boden Sie trägt, ohne dass Sie etwas dazu tun müssten.
Der Boden trägt mich. Ich werde getragen.
Nehmen Sie diese Erfahrung mit, wenn Sie nun wieder Platz nehmen.
In meiner Seminargruppe hatte die Übung die Teilnehmenden ganz ruhig werden lassen. Die 40-jährige, Frau März, räusperte sich nun. „Ich habe auch Angst, wie die Jünger“, sagte sie, „mein Leben ist gerade so stürmisch.
Bei der Arbeit nimmt alles überhand, ich soll ständig Überstunden machen. Dabei hab ich meinen Sohn zu Hause, der Kleine hat so Schwierigkeiten in Mathe, mein Mann muss so viel arbeiten und kriegt trotzdem nur so ein kleines Gehalt. Ich frag mich manchmal, wie wir das alles schaffen sollen: den Kredit fürs Haus abbezahlen, den Jungen durch die Schule bringen, meine alte Großmutter regelmäßig besuchen, und vielleicht noch so was wie eine Ehe führen.“
Die anderen nicken ihr still zu. „Aber“, so Frau März ermutigt weiter, „warum ich eigentlich hier im Seminar bin: mir hängt noch immer dieser Satz nach , noch aus dem Kindergottesdienst; dieser Satz, den Jesus zu Petrus sagt `Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?` Das hat mich irgendwie direkt ins Herz getroffen, schon damals. Ich hatte das Gefühl selbst kleingläubig zu sein. Nicht so stark und sicher wie andere Kinder – oder später andere Erwachsene, deren Glauben sie offenbar so stark durchs Leben trägt. Ich habe immer wieder diese Zweifel. Und sehe Jesus eher wie ein durchsichtiges Gespenst, gar nicht wie einen, der mir die Hand reicht und mir die Stärke gibt, durch mein stürmisches Leben zu gehen.“
Die Fünfte im Kurs, eine Frau Mitte 70, Frau Dehnen, ergriff nun endlich das Wort. „Ich kenne das Gefühl auch, „sagte sie an Frau März gewandt, „mir ist es auch oft so gegangen. Ich hatte verdammt viel Angst, und mein Glaube ist oft regelrecht zusammengeklappt. Ich habe als Kind meine Heimat verloren, mein Vater blieb im Krieg, meine Mutter hat für uns gesorgt. Sie hat oft das Lied gesungen: „Auf meinen lieben Gott trau ich in aller Not.“ Sie hat auch viel geweint. Aber sie hat jeden Tag die Kraft gefunden, von Neuem zu beginnen. Und so ging es mir auch. Jeden Tag nehmen wie er kommt, Gott um Kraft bitten, und losleben. Da war viel Schweres, aber da war auch viel Gutes. Ich habe eine gute neue Heimat gefunden, viele Freunde, eine liebe Familie, die mich trägt. Mein Glauben ist stärker geworden. Ich lasse mich nicht mehr so schnell ins Bochshorn jagen. Natürlich habe ich diese Zeiten, in denen ich mich schwach und kleingläubig fühle. Hab „´Hilf mir, Gott!` geschrien. Aber Jesus hat das ja auch so gefühlt, als er sagte „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen.“. Das tröstet mich, das zu wissen. Darum kann ich vertrauen, denn Gott kennt mich so gut, weiß so gut, was ich durchmache. Ich darf im alles klagen und ich weiß, dass er meine Füße auch auf weiten Raum stellt.“
Offenbar war Herr Finkenbach von den Reden der beiden Frauen sehr beeindruckt. Irgendetwas hatte ihn bewegt, ich habe es leider nicht herausfinden können, was es war. Aber mir schien, dass er mit neuer Zuversicht nach Hause fuhr.
Später sind wir dann zu den überschwemmten Wiesen gefahren. Und haben das Über-den See-Laufen geübt. Der Trick war folgender. Wenn man ganz still wird, dann kann man hören, wie es in einem drin ruft „Komm her!“ und dann muss man einfach losgehen.
nach oben
Diesen Artikel kommentieren