Die Entdeckung des mir Eigenen – Interview mit Silvia Häfele, 51 Jahre
Ich kenne Silvia Häfele aus gemeinsamen Kursen in Playing Arts. Sie schreibt wundervolle Gedichte und der Keller als Ort der Inspiration hat es ihr angetan. Im Nachklang dieses Interviews schrieb sie mir: „ich fühle mich reich“. Ich danke ihr für ihre tiefen, ehrlichen Gedanken zum Älterwerden, Partnerschaft, Spiritualität, Kreativität und dem Sterben. Sie hat im Rahmen ihrer Hospizarbeit ein Kunstprojekt gestaltet: Erbschaftsangelegenheiten
Silvia Häfele, 51 Jahre, seit 30 Jahren verheiratet und Mutter von drei Kindern 25/27/30.
Medizinisch technische Radiologie-Assistentin, halbtags berufstätig bei einem Orthopäden, Ausbildung Playing Arts Laboratorium und Langzeitprogramm in Gelnhausen, Ausbildung Healing Touch Praktikerin und nebenberufliche Tätigkeit. Hobbys hab ich auch: Singen in zwei Chören (Kirchenchor und Opernchor), lange Jahre Tanz, auch heute noch.
Ehrenamtlich seit ca. 8 Jahren in der Hospizgruppe Balingen tätig. In diesem Rahmen sind auch zwei Filme herausgegeben worden, die durch Playing Arts ausgelöst wurden („Der Tod macht stille Leute“, „Vom Gehen und Bleiben – Trauergespräche“)
Dein Lebensmotto ?
Vor einigen Jahren habe ich mir vorgenommen, im Alter eine weise Frau zu werden, wenn man das als Motto sehen kann. Wichtig ist mir, das was ich kann und gelernt habe, nicht nur für mich, sondern auch für andere einzusetzen.
Dein Lebensgefühl/ vielleicht gibt es ein Bild dafür?
Es fühlt sich so an, als wenn ich auf einem, meist recht sonnigem und leicht ansteigenden Weg unterwegs bin, der meistens recht angenehm zu gehen ist, auch mal unübersichtlich ist, doch rückblickend immer recht gradlinig und logisch verlief.
In der zweiten Lebenshälfte geschieht viel in der ganzen Spanne zwischen Abschied und Neubeginn. Was bedeutet Älterwerden für Dich? Verändert sich etwas? Wie gehst Du damit um? Inwieweit spielt Playing Arts darin eine Rolle?
Älterwerden ist momentan für mich eher daran zu spüren, dass sich meine Prioritäten verschoben haben. Dinge, die ich früher unheimlich gerne gemacht habe, auch manchmal recht exzessiv, rücken in den Hintergrund. Das Gefühl, etwas zu versäumen hat sich zurückgebildet und ich brauche mehr ruhige Zeiten, die mir allein gehören. Es ist wie eine Verlangsamung, aber dann auch wieder, als wenn die Zeit immer schneller läuft. Es hat von beidem. Verändert hat sich auch die Wahrnehmung meiner Umgebung, ich versuche, mehr meiner Intuition zu vertrauen, die in den letzten Jahren präziser geworden ist. Was auch leichter gelingt, ist die Abgrenzung zu Dingen, die mir nicht mehr entsprechen, oder sogar schaden, sowie auch meine eigene Meinung und Vorstellung zu vertreten, soweit das auch im Blick auf andere nötig ist. Ich versuche da auch eine gute Ratgeberin zu sein, wenn mein Rat gesucht wird.
Mit was ich manchmal weniger gut klar komme, ist die körperliche Veränderung und die Diskrepanz des inneren Bildes von mir selbst und dem, was tatsächlich spiegeltechnisch zu sehen ist. Dabei ist das ein rein innerlicher Prozess, ich weiß sehr wohl, dass andere Menschen mein älter werden sehen, aber nicht diese Diskrepanz erleben. Ich fühle mich innerlich jünger, als es außen sichtbar ist. Korrigiert wird dieses Denken aber dann doch hin und wieder, wenn ich mit jungen Kolleginnen, oder mit meinen Kindern rede und über die Dinge manchmal anders (altmodisch?) denke. Es ist im Moment ein ähnlicher Zustand, wie es in der Pubertät gewesen ist. Es gilt und darum bemühe ich mich intensiv, die Veränderung zu sehen, zu integrieren und mich auch wieder ganz neu zu definieren, auch mit dem Blick auf das Alter und den Wünschen, die da noch sind. Playing Arts hat mir da immer viel geholfen, meist spielte ich mit diesen inneren Veränderungen und durch das nach außen bringen, was nicht immer nur leicht ging, konnte ich es für mich auch wieder in veränderter Form annehmen. Im Spiel wird das Echte und unmittelbar Eigene für mich selbst besser sichtbar.
Hast Du ein Vorbild für dein Älterwerden?
Eigentlich kein konkretes. Ich bewundere Menschen, die sich nicht aus dem Leben zurückziehen, die noch Visionen haben oder auch Projekte in Angriff nehmen. Dabei denke ich oft auch, dass wir dadurch im Herzen und im Kopf jung bleiben können. Es geht darum, zu gestalten. Dabei geht es für mich nicht um die großen Dinge, wenn auch die am ehesten gesehen werden. Manche Schauspieler/innen waren mir da immer ein Vorbild, wenn sie sich bis ins hohe Alter den äußeren Bedingungen anpassen konnten. Es scheint mir wichtig, nicht einfach in den Rückzug zu gehen und immer neugierig und bereit für Neues zu sein.
Verändert sich etwas in der Partnerschaft? Wir geht ihr damit um?
In der Partnerschaft ist in einer gewissen Weise eine zumindest für mich wohltuende Ruhe eingekehrt, obwohl wir da nie „Unruhe“ hatten. Wir unterstützen uns gegenseitig, wo es von Nöten ist und lassen uns Freiraum, wo auch das nötig ist. Die Kommunikation ist nach wie vor intensiv und auch inspirierend und unterstützend. Die Interessen und Ideen, die jeder von uns hat, sind akzeptiert und werden in der gegenseitigen Achtung unterstützt. Das geht aber nicht von allein. Das bedeutet immer wieder ein neues Ausrichten der Partnerschaft und auch immer wieder ist Aufmerksamkeit und Rücksicht notwendig. Das gelingt uns meist auch sehr gut und dafür bin ich jetzt nach 36 Jahren Partnerschaft (30 Jahren Ehe) doch immer wieder sehr erstaunt und überaus dankbar. Da hat sich auch eine innere Verbundenheit eingestellt, die auch frei ist von Forderungen oder von Vorwürfen. Es fühlt sich gut und stimmig an und ich denke, das gilt auch für meinen Ehemann.
Welche Rolle spielen Glaube/ Religion/ Spiritualität für Dich?
Mein Glaube hat sich in den letzten Jahren sehr gewandelt und war auch ein gutes Stück Arbeit, die auch weit in meine eigene Persönlichkeitsentwicklung eingriff. Auch in dieser Frage war es für mich notwendig, Kindheits- und vor allem sehr intensive Jugendprägungen zu hinterfragen, zu überprüfen und neu zu definieren. Durch die Energiearbeit, die ich vor einigen Jahren zu erlernen begonnen habe, hat sich da nochmal ein großer Wandel vollzogen und es war notwendig, das eigene zu finden und zu leben. Auch unter dem Gesichtspunkt, was ich eben in dieser Energiearbeit entdeckt und erlebt habe und für das es in meiner bisherigen religiösen Prägung keine Sprache und auch vor allem keine Erlaubnis zu geben schien. Nicht selten erlebte ich von anderen, dass sie mich da in Frage stellten. Doch gerade in der inneren Auseinandersetzung damit erlebte ich dann in Folge eine große Erweiterung und Verdichtung meines eigenen Glaubens, der nach wie vor in der christlichen Religion verankert ist. Viele unbeantwortete Fragen sind eben dadurch beantwortet worden, weil ich die Antworten selbst finden sollte und musste.
Mir ist aber auch irgendwann ganz klar geworden, dass es für die Entwicklung der Menschheit notwendig geworden ist, sich bewusst zu werden, wo die Quelle von allem liegt und wir im Grund mit unserem Verstand das nicht erfassen können, was das Göttliche in uns und um uns ist. Auch dass jeder Einzelne den unmittelbaren Zugang dazu hat, wenn er danach sucht. Und es scheint mir sehr wichtig zu sein, dass die Menschen sich ihrer Verbundenheit bewusst werden, die viel tiefer angesiedelt ist, als Religionen und Traditionen heute glauben lassen.
Aus welcher religiösen Tradition die Menschen kommen, ist dabei für mich nicht wichtig. Jeder Weg hat seine Berechtigung und jeder kann von jedem lernen, wenn es gelingen kann, unser Herz zu öffnen und der liebevollen Toleranz und Achtsamkeit Raum zu geben. Dabei sind Wertungen für mich nicht mehr wichtig, es geht darum, in dem, was ich tue und glaube authentisch zu sein. Denn nur das ist anderen vermittelbar.
Auch in diesem Veränderungsprozess war Playing Arts ein wichtiges Element für mich, da es mir den Raum dazu gab, diesen Prozess in einer ganz freien Form zu gestalten und zu spielen. Das war für mich persönlich immer ein hochspiritueller und manchmal auch recht anstrengender Prozess, der immer eine große Portion Mut verlangte und dadurch aber doch hoch befriedigend war, weil es um die Entdeckung des mir „Eigenen“ ging.
Auch in dieser Frage scheint es mir unbedingt wichtig, nicht stehen zu bleiben und immer wieder unter veränderten Voraussetzungen Veränderungen und Erweiterungen zuzulassen. Das bedeutet auch, sich die Freiheit zu nehmen und auf das zu vertrauen, was einem auf diesem Wege begegnet und das eigene zu erkennen und zu erlauben.
Welchen Traum möchtest Du wahr werden lassen?
Einen Traum habe ich nicht, zumindest nicht in der Weise, wie es oft gebraucht wird. Aber ich habe viele wirkliche (Nacht)Träume, die ich sehr spannend finde und die oft auch eine Offenbarung sein können.
Ein Traum wäre eine Reise mit meinem Mann nach Neuseeland. Das scheint mir aber irgendwann machbar. Es wird also kein Traum bleiben.
Ein großer Traum ist, dass die Menschheit ihrer Aufgabe nachkommt, Frieden zu schaffen und die Erde zu erhalten. Doch scheint es sich für mich hier eher um einen Kollektivtraum zu handeln. Doch versuche ich, das als kleinste Einheit umzusetzen und zu leben und auch in der Sicherheit, dass im Großen das möglich werden kann, was auch im Kleinen gelingt.
Für was ist es nie zu spät?
Für die Entdeckung, dass ein Leben auf dieser Erde eine ganz besondere Sache ist und die Entdeckung, dass uns Gott immer wohlgesonnen dabei begleitet. Ja und die Entdeckung der Leichtigkeit, auch wenn es manchmal noch so schwer erscheint und nur wir selbst uns verändern können. Das Äußere wird dann in der entsprechenden Weise darauf reagieren. Das zu lernen, ist man nie zu alt.
Was ist Dir sonst noch wichtig/ hätte ich Dich unbedingt fragen sollen?
Welche Frage ich im Katalog vermisse ist, welche Bedeutung Sterben und Tod für diese Lebensspanne haben. Denn ich erlebte bei mir selbst, dass eben diese Frage (ich träumte mit ca. 40, dass ich eines Tages tot bin und es mich nicht mehr geben wird) die größten Veränderungen in meinem Leben hervorgerufen hat. Denn was bedeutet das für mich persönlich? Woher komme ich, wohin gehe ich und wozu bin ich auf dieser Erde? Diese Frage zu beantworten ist für mich persönlich die größte Herausforderung gewesen und es dauerte sehr lange, bis ich diese Frage aus mir heraus dann auch selbst beantworten konnte. Ich bin mir allerdings auch bewusst, dass ich diese Auseinandersetzung in einer Weise gesucht habe, wie es die meisten Menschen selten tun. Doch gerade diese Auseinandersetzung ist aus meiner Sicht unabdingbar, weil sie den Blick auf das Wesentliche erlaubt und Korrekturen anstößt und möglich macht. Es ist nicht leicht, dessen bin ich mir auch bewusst, gerade dieser Tatsache Sterben und Tod ins Auge zu blicken, aber unendlich bereichernd, wenn es gelingt. Dadurch ist mir auch in der Hospizarbeit möglich geworden, anderen Menschen in ihrem Sterbeprozess eine Begleiterin zu sein und das frei von Angst.
Dir, Annegret, danke ich für die Arbeit, die Du da machst und die unheimlich viele Möglichkeiten beinhaltet.
Liebe Grüße Silvia Häfele
nach oben
Diesen Artikel kommentieren