Der Blog für die zweite Lebenshälfte

Der Blog für die zweite Lebenshälfte

Else Natalie Warns – Ein anderer Umgang mit Demenz

Veröffentlicht in: Bücher/Filme, Ideen für Gruppen

Else Natalie Warns - Ein anderer Umgang mit DemenzElse Natalie Warns kam zur Eröffnung der Ausstellung ihres Mannes gerade von einem Bibliodrama-Workshop mit österreichischen Ordensbrüdern, die sich in einer 6-Wochen-Klausur auf ihre letzte Lebensphase vorbereiteten. Allein das wäre schon einen Text wert. Frau Warns ist selbst gerade 80 geworden. Mit den Männern ab 75 Jahren machte sie Körperarbeit, liess sie mit Ton, Papier und Farbe zu Psalm 30 arbeiten! Vielleicht ist man als Lehrbibliodramaleiterin und Theaterpädagogin besser vorbereitet auf die harten Seiten des Lebens. Sie begleitete ihren Mann Eberhard Warns über 17 Jahre in seiner Demenz. Mit allem was diese Krankheit zu bieten hat. Wie hat sie das geschafft? „Ich habe es einfach gemacht“, sagt sie, „es war halt so“. Dass sie wie viele andere Angehörige von Menschen mit Demenz dabei an und über ihre Grenzen ging, ist auch so. Dennoch: sie hatte und hat ein tragendes Netz der Familie, Freundinnen und Freunde, Arbeitskollegen des Mannes. Und – vielleicht der entscheidende Unterschied: sie ging und geht mit der Demenz offen um.
Für viele Angehörige ist es nicht nur irritierend, sondern auch beängstigend und peinlich, wenn der bislang so gebildete Mann plötzlich nicht mehr weiß, wie er die Hose anziehen soll und im Zusammensein mit Freunden nur peinliche Plattitüden von sich gibt. Wenn die Ehefrau die Schlüssel im Kühlschrank versteckt. Es dauert, bis man versteht und ernst nimmt, dass der Angehörige nicht nur komisch, sondern verändert ist.

Bisher wurde versucht, das Phänomen Demenz von medizinischer Seite her zu verstehen und in den Griff zu bekommen. Es gibt inzwischen 68 verschiedene Demenzdiagnosen. Es gibt Medikamente. Manchmal helfen sie, manchmal nicht. Bei Eberhard Warns halfen sie nicht. Sie machten ihm und seiner Frau das Leben nur schwerer. Frau Warns versuchte – auch dem Rat der Ärzte folgend-  mit ihrem Mann Biografiearbeit zu machen: alte Fotos betrachten, Erinnerungen wecken. Er wollte nicht. Er wollte sich nicht erinnern an eine Jugend, die in der Nazizeit lag und in der er zum Spitzel für eine befreundete jüdische Familie missbraucht wurde. Eine Schuld, die ihn bis zuletzt verfolgte.
Er wollte auch nicht meditative Bilder ausmalen.
Er wollte „Freiheit beim Malen“. Mit diesem Schrei nach Freiheit erwachte er eines Nachts und zum Glück hatte er eine Frau an seiner Seite, die alles tat, damit er seine Selbstbestimmung so weit es ging behalten konnte.  Sie besorgte gute Farben und Pinsel, großes Papier. Eine Künstlerin assistierte. Im Garten an der Staffelei stand er, der zuvor durch den Tag getorkelt war, aufrecht und setzte gezielt Pinsel und Farbe ein. Er malte seine Gegenwart. Setzte sich mit seiner Situation auseinander. Malte labyrinthartige Wege, Tore, Begrenzungen und Entgrenzungen, malte seine Wut und fand darin seinen Mut.
Menschen mit Demenz ringen Tag für Tag um die Bewahrung ihrer Würde. Hier, in der Freiheit beim Malen, fand Eberhard Warns seine Würde wieder und mit ihm alle die ihn begleiteten. Sie fanden auch einen Zugang zu ihm –  jenseits der Sprache.

Der neue Blick auf das Leben mit Demenz, der sich in der Pflege und Begleitung langsam entwickelt, ist genau dieser: den Menschen mit seinen Möglichkeiten in den Blick zu nehmen. Die Emotionalität von Menschen mit Demenz als Chance und Geschenk anzunehmen. Else Natalie Warns und ihr Mann hatten eine gemeinsame Basis des künstlerischen Ausdrucks, des Spiels und des Glaubens. Die trägt auch über den Tod hinaus. Als Natalie die Bilder hängen sieht, sagt sie „Hier kommt mir Eberhard entgegen. Hier ist er ganz präsent.“ Das tröstet und trägt.  Else Natalie Warns setzt sich als Mitherausgeberin der Zeitschrift „Demenz. das Magazin“ dafür ein, dass wir unseren Blick ändern. Auf das was geht, das was trägt, das was Kraft gibt. Kein Kampf mehr. Eher ein Entdecken.

Die Ausstellung „Ich will Freiheit beim Malen. Demenz und Kunst – Gemälde von Eberhard Warns“ ist noch bis zum 9. März 2011 (Aschermittwoch) im ebz zu sehen.


nach oben

Hinterlassen Sie einen Kommentar

*