Stillsitzen – Ein Skeptiker auf Entdeckungsreise in den KörperGeist
Stillsitzen ist eine Kunst – und für viele ein Weg auf der Suche nach dem Sinn. Ein zuweilen ziemlich ungemütlicher. Ich lese gerade das Buch von Tim Parks, „Die Kunst stillzusitzen. Ein Skeptiker auf der Suche nach Gesundheit und Heilung.“ Der Romanautor beschreibt seinen Weg in der Erfahrung mit heftigen Schmerzen im Beckenbereich. Eine Odyssee der ärztlichen Untersuchungen schließt Prostatabeschwerden und Blasenkrebs aus. Er ist – medizinisch betrachtet – kerngesund. Dennoch werden die Schmerzen schlimmer, seine nächtlichen Toilettenbesucher häufiger. Nach und nach kommt er sich selbst auf die Spur, um sich schließlich in einem Meditationsseminar wieder zu finden und am Ende – schmerzfrei und um viele Erkenntnisse reicher -weiter zu gehen.
Ein Mann um die 50 in einer tiefgreifenden Krise. Im Laufe seiner Odyssee versucht Parks alles, was ein intelligenter Geist sich nur ausdenken kann. Der Übersetzer und Universitätsprofessor zieht seine Lieblingsautoren zum Vergleich heran, reflektiert seine Erkrankung in ihrem Lichte. Er unternimmt Selbstversuche in der Ernährung. Er schlägt sich unzählige Nächte im Internet um die Ohren, um sich immer mehr in der Welt der Schmerzen zu verstricken. Er konfontiert sich mit Bildern, die einen werden traumartig gedeutet, die anderen hauen ihm und uns die knallharten Fakten einer Prostatauntersuchung um die Ohren. Atemlos folgte ich den Schritten, die Parks unternimmt, um der Wahrheit nicht näher zu kommen. Und doch schleicht sie sich immer wieder ein, ohne je für uns ganz aufgedeckt zu werden. Seine Kindheit als Sohn eines anglikanischen bibeltreuen Predigers. Die Leib-losigkeit seiner Erziehung. Der tiefe Graben zwischen Körper und Geist. Parks will die Schmerzen bezwingen und dann wieder zum Alltag übergehen. Eindrucksvoll seine Erkenntnis, dass er sich im Grunde immer selbst voraus ist, vor sich her rennt, keine Schwäche zeigen will. Schon gar nicht darüber reden. Die Wende bringt ein Buch, das er auf einer seiner nächtlichen Internetexkursionen ins Reich der Männerschmerzen entdeckt: „A Headache in the Pelvis“ von David Wise und Rodney Anderson – Kopfschmerzen im Becken – in Verbindung mit der Ausweglosigkeit seiner Situation – lässt ihn einen neuen Weg versuchen. Er macht sich seinen Feind zum Bekannten, später zum Freund: seinen Körper, die von Spannungen überlasteten Muskeln, seine Schmerzen.
Tim Parks´ Ehrlichkeit ist umwerfend und ansteckend, sein Stil zum Gruseln realistisch und urkomisch; ein Krimi in die Welt des westlichen (Männer)Körpers.
Tim Parks, Die Kunst stillzusitzen – Ein Skeptiker auf der Suche nach Gesundheit und Heilung, Verlag Antje Kunstmann
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