Der Blog für die zweite Lebenshälfte

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Menschen im Ruhestand: Wolf Lange, 70 Jahre

Veröffentlicht in: Allgemein, Älterwerden (im Selbstversuch)

Menschen im Ruhestand: Wolf Lange, 70 JahreWolf Lange, 70 Jahre, war Lehrer und Schulleiter – er hat immer in Südhessen gelebt und gearbeitet ist verheiratet, hat zwei Kinder, ein Enkelkind. Er war gemeinsam mit seiner Frau Teilnehmer in unserem Basiskurs Seelsorge. Von ihm habe ich den Begriff „Freiwillige Ich-AG“ gelernt. Mich inspiriert, wie er aus seinen im Berufsleben erworbenen Fähigkeiten, seinen jetzigen Interessen und seiner Neugier, mehr über das Altwerden und Sterben zu lernen, zu seinem ganz eigenen Engagement in einem Altenheim gefunden hat.

 

Ihr Lebensmotto
Ich habe keine Zielvorstellung für mein Leben, die ich in einem knapp formulierten Satz aufschreiben möchte. Ich komme mir manchmal vor wie eine Amöbe, ein Einzeller also, dessen Plasma-Gestalt dem Kern manchmal voraus ist, manchmal hinterher läuft. Aber ein eigentliches Lebensmotto ist das auch nicht, nur ein Bild über das Zusammenwirken.

Wann/ woran haben Sie gemerkt, dass Sie älter werden?
Mit  67 Jahren wollte ich auf einmal nicht mehr jeden Tag mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben. Mir ging ihre Unruhe, ihre Lautstärke und ihre Sprechweise auf die Nerven.

Was bedeutet Älterwerden für Sie?
Ich setze mich häufig mit meiner Endlichkeit auseinander. Früher dachte ich (heimlich bei mir!): Da ich mir meinen Tod nicht vorstellen kann, übersieht er mich vielleicht.

Haben Sie ein Vorbild für Ihr Älterwerden? Inwiefern ist diese Person/sind diese Personen Vorbilder für Sie?
Das sind junggebliebene 80er wie Heiner Geißler, Richard von Weizsäcker und Margarete Mitscherlich – Menschen also, die sich jenseits meines Jahrzehnts Engagement für andere,  Neugier und Humor bewahrt haben.

Sie sind im Ruhestand. Wie gestalten sie ihn? Was ist anders als vorher? Was blieb gleich?
Ich bin seit über fünf Jahren nun der Hausmann in der Ehe mit einer Berufstätigen. In meiner „Freizeit“  treibe ich regelmäßig Konditionssport und übe ehrenamtliche Tätigkeiten gegenüber alten und sehr alten Menschen aus. Kommunikation muss ich mir nun selbst suchen. Einfluss auf andere aufgrund meiner beruflichen Stellung habe ich nicht mehr.  Seit Eintritt in den Ruhestand pflege ich meine Kreativität in der Musik und im Schreiben. Geblieben ist mein Appetit bei ziemlich geringer Gewichtszunahme.

Sie engagieren sich ehrenamtlich. Wie? Warum? Was ist Ihnen dabei wichtig?
Zunächst habe ich einer uralten Frau im Pflegeheim nur ein bisschen meiner Zeit und Aufmerksamkeit geschenkt und bekam dafür schon freundschaftliche Anerkennung. Dann habe ich mich durch ihr Sterben und ihren Tod zu einer Konzentration meiner  Tätigkeit in ihrem Pflegeheim entschieden und tue nun etwas Sinnvolles für viele der Bewohner. Menschen, die nach vielen Jahren wieder mit dem Lesen und Schreiben anfangen oder die, ausgehend von gemeinsamer Lektüre,  in ihre Biographiearbeit einsteigen oder die mit ihrer Gruppe regelmäßig Beiträge zu den Bewohnerfesten bringen, stellen Erfolgserlebnisse für mich da, die mein altes Lehrerherz hochschlagen lassen.

Älterwerden hat ja auch mit Veränderungen zu tun. Es entstehen neue Freiheiten, aber auch Begrenzungen. Wie gehen Sie damit um?Ich bin sehr neugierig über den bevorstehenden Ruhestand meiner Frau. Was wird sie nach Beendigung der Trauerphase über die weggebrochene berufsbezogene Kommunikation tun?  Wo können wir etwas zusammen machen? In meiner gewonnenen Zeit kann ich mich an der  Entwicklung des sieben Monate alten Enkels freuen und die Freundschaft mit meinen ältesten Freunden pflegen. Ausgleich für nachlassende körperliche Beweglichkeit ist mir auch die Betätigung auf einer „inneren“ Ebene, dem kreativen Schreiben.

Welche Rolle spielt Glaube/ Religion/ Spiritualität für Sie in Ihrem Älterwerden?
Ich lerne langsam mich von sehr autoritativen Einstellungen und Bildern zu befreien, verstehe aber auch rückwirkend immer besser, wie es zur deren Entstehung kam. Aber nicht nur ich bin begrenzt in meinem Welt- und Lebensverständnis, sondern auch die, von denen ich seinerzeit abhängig war – die eigenen Eltern und alle meine Vorgesetzten. Spiritualität ist für mich menschliches Verständnis für Begrenztheit und Endlichkeit.

Welchen Stellenwert hat die Partnerschaft für Sie im Ruhestand? Welche Veränderungen sind damit verbunden?
Partnerschaft  hat einen großen Stellenwert für mich. Sie geht einher mit Offenheit und Gesprächsbereitschaft. Mit dem Ruhestand kommen neue Risiken und Chancen auf meine Frau und mich zu. Wir haben vor zwei Jahren damit begonnen, zusätzlich zur eigenen Fortbildung auch gemeinsame längerfristige Fortbildung zu machen (seelsorgerliche Gesprächsführung  und Ausbildung zum Hospizhelfer, jeweils  in einem Jahreskurs) – eine Entscheidung, die uns beide in der Partnerschaft stärkt.

Welchen Traum möchten Sie noch wahr werden lassen?
Ich stelle mir vor eines Tages mit meiner Frau zusammen ein neues Musikinstrument zu spielen – z.B. in einer Gruppe mit Rhythmusspielen.

Für was ist es nie zu spät?
Für einen neuen Gedanken, für das Einüben eines unbekannten Musikstücks, für eine neue Erfahrung mit dem vertrauten Partner.

Was ist Ihnen sonst noch wichtig/ hätte ich Sie unbedingt fragen sollen (und wie würden Sie darauf antworten)?
Wenn Sie mich gefragt hätten: „Sie waren so viele Jahre Lehrer in der Schule, Sie bringen auch  jetzt in Ihrem wohlverdienten Ruhestand alten Menschen noch etwas bei – nämlich, dass es Vergnügen bereitet, gemeinsam ein Gedicht zu lesen oder ein Lied zu singen – gibt es da etwas, was Sie selbst gerne noch lernen würden?“ – dann hätte ich vielleicht geantwortet: „Ich würde mir gerne mit derselben Leichtigkeit Unzulänglichkeiten verzeihen, mit der ich anderen Menschen verzeihe.“ So, das wollte ich noch gesagt haben.


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