Der Blog für die zweite Lebenshälfte

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Ruhestand und andere Unannehmlichkeiten

Veröffentlicht in: Bücher/Filme

Ruhestand und andere UnannehmlichkeitenBuchbesprechung „Alte Liebe“ von Elke Heidenreich und Bernd Schroeder

So alt sind sie gar nicht. Lore, Mitte 60, kurz vor dem ungewollten Ruhestand. Harry, etwas jünger, schon seit ein paar Jahren im Ruhestand, mit großem Genuss Neugärtner. Als Alt – 68er Paar haben sie ihre bewegte Geschichte miteinander.

So. Jetzt habe ich  zwei Möglichkeiten in die Materie einzusteigen. Sie, liebe Leserin, lieber Leser haben die Wahl:
Anfangsvariante Nr.1: Warnung!
Wenn Sie sich als Paar rund um den Ruhestand befinden und lieber in Ruhe weiterträumen wollen, sollten Sie die Finger von diesem Buch lassen!
Anfangsvariante Nr. 2: Empfehlung!
Wenn Sie sich als Paar rund um den Ruhestand befnden und nicht wissen, wie Sie all die heißen Eisen ansprechen sollen, die Ihnen gerade durch den Kopf gehen, empfehle ich Ihnen dieses Buch als Einstiegslektüre.

Gemeinsam geht´s weiter:
Elke Heidenreich und Bernd Schroeder, bringen unterhaltsam alle Themen auf den Tisch, die ein Paar rund um den Ruhestand bewegen: Garten, Freunde, Genuss, Reisen, alte Eltern, Enkel, Verhältnis zum Kind, Umgang mit schlechten Nachrichten und vor allem: Was will ich, wer bin ich (noch) für dich? Was machen wir gemeinsam und wo lassen wir uns wie wir sind – und in Ruhe.
Innere Monologe von Lore und Harry wechseln mit Dialogen der beiden.
Lore, Bibliothekarin, kurz vor dem höchst ungewollten Ruhestand (niemand kann das, was sie macht, so gut wie sie!!!) und Harry, bereits im Ruhestand und darin zum leidenschaftlichen Gartennerd geworden – plus jede Menge Feierabendbierchen mit und ohne Kumpel. In Gedanken drehen sie umeinander, versuchen den Partner, die Partnerin zu verstehen, wälzen ihre Sorgen und Wünsche hin und her.
In den Dialogen kommt höchstens ein Bruchteil dessen was sie bewegt zur Sprache. So manches Paar wird sich hier ertappt fühlen ob der Abwägungen was man (nur) denkt und was man (endlich) sagt.
Das Buch geht nicht in die Tiefe, aber ans Eingemachte. Die innere Dramaturgie wird durch die nunmehr dritte Hochzeit ihrer Tochter ordentlich in Fahrt gebracht. Die bricht nämlich mit sämtlichen Werten, die die Eltern ihr nahegebracht haben und ehelicht ein stinkreiches Kapitalistenschwein, kauft der verwöhnten Enkelin sämtliche Nintendospiele und lässt sie vor der Glotze hocken. Die Eltern sind verzweifelt und ratlos. War ihre antiautoritäre Erziehung völlig umsonst? Was macht man mit einer 9-Jährigen, die wegen jedem „Nein“ die Mama auf dem Handy anruft? Und sie ringen mit sich, einander und ihren Werten. (Die Frau, die mir das Buch empfahl, im Übrigen selbst vor dem Ruhestand, kommentierte: „So eine Hochzeit ist doch immer eine Krisenzeit.“)
Die Entwicklungen sind witzig, die Dialoge manchmal verwirrend (wer redet hier gerade?), aber auf jeden Fall Denk- und Gesprächsanstöße. Der schönste Dialog:
„Lore, ich liebe dich.“
„Harry, was ist in dich gefahren – ist dir nicht gut?“
„Ich möchte mich dafür entschuldigen, dass ich neben dir ein sturer, alter Zausel geworden bin.“
„Ich nehme die Entschuldigung an. Und – äh – ist denn Besserung in Sicht?“
Es ist Besserung in Sicht.
Und nun können Sie wieder zwischen zwei Schlussvarianten wählen.

Schlussvariante Nr. 1: Warnung!
Das Buch endet mit einer gewaltigen Portion Endlichkeit (,weshalb Sie diesen Beitrag auch unter der Kategorie „Endlichkeit“ finden). Das Ende haut rein. Der Tod schlägt in diesem Buch in drei Varianten zu. wenn Sie sich nicht den Schwung verderben lassen wollen, die Lust auf die neuen Entdeckungen für sich selbst und miteinander, dann lesen Sie das Buch lieber nicht oder lassen wenigstens den Epilog weg. Ich verdächtige das Autorenteam, dass sie befürchteten, in die Oberflächlichkeit abzudriften, wenn hier nicht eine/r von beiden stirbt. Das fiele dann unter „deutsche Gründlichkeit“, ganz wie in „Wolke 9“, dem ersten deutschen Kinofilm über neue Liebe im Alter, der auch nicht ohne den großen Schuld- und Tod- Hammer am Ende auskommt. Muss das wirklich sein?

Schlussvariante Nr.2: Jetzt!
Das Buch endet mit einer großen Portion Endlichkeit. Eine/r der beiden stirbt. Unerwartet. Und die Frage nach der Partnerschaft stellt sich für uns „Hinterbliebene“ um so drängender. Wir wissen nicht, wie viel Zeit wir auf dieser Erde haben. Also: lieber nicht lange um den heißen Brei reden. Was Lore und Harry für sich als Paar entdecken, ist verlockend und es ist realistisch. Indem sie ehrlich zu sich selbst sind und zueinander und weil sie aus dem bisherigen Trott ausscheren, beleben sie ihre Beziehung auf eine Weise die schön ist. Zärtlich. Lustvoll. lustig, bunt, verheißungsvoll. Und vielleicht will uns die Endlichkeit ja genau das lehren.


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