Der Blog für die zweite Lebenshälfte

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„Der Schwarz“ – Wie Tante Lisbeth mit der Sterblichkeit umgeht

Veröffentlicht in: Allgemein, Endlichkeit, Ideen für Gruppen

„Der Schwarz“ – Wie Tante Lisbeth mit der Sterblichkeit umgehtDie Autorin Brigitte Bee hat die Gabe auf engstem Raum das Leben auf den Punkt zu bringen. Die Haikus in diesem Blog sind von ihr. Zum Gedenken an ihre Tante Lisbeth schrieb sie Vignetten über eine Frau, die sich nicht unterkriegen ließ. Ich habe schweren Herzens eine Auswahl getroffen.
Das Kissen ist Teil meines fortlaufenden Stickprojekts „Paradekissen“.

Tante Lisbeth
Als Tante Lisbeth geboren wurde gab es weder Radio, noch Fernseher noch Telefon und Autos eigentlich auch noch nicht. Sie hatte auch ihr Leben lang kein eigenes Auto und auch kein Handy. Aber sie hatte eine Musiktruhe, in der man eine von 3-4 kleinen Schallplatten auflegen konnte, die dann spielten „Hör mein Lied Elisabeth, ….sing das Lied vom alten Schloss, in der alten Allee, …..Elisabeth“. Oder man konnte mit Tante Lisbeth einfach singen: „Wenn die Elisabeth nicht so schöne Beine hätt….“ und wenn sie gut aufgelegt war, sagte sie dann, „kannst Du eigentlich Walzer tanzen“ und schon stand sie in Tanzposition und wir tanzten, sangen und lachten einen Wiener Walzer in Omas Küche.

Tante Lisbeth hatte ein Fahrrad, das sie als Fortbewegungsmittel nutzte bis sie fast 80 war, damit fuhr sie zur Kirche, auf den Acker, zum Supermarkt, früher Kaisers Kaffeegeschäft, dann Latscha, da hatte sie als junges Mädchen viele Jahre gearbeitet. Sie radelte zum Doktor, zum Friedhof, zur Singstunde, zur Frauenhilfe und zu den Geburtstagen der vielen Leute, mit denen sie verwandt oder befreundet war, oder die sie besuchte, weil sie alt waren und auf Besuch warteten.
Das schlimmste am Älterwerden war für sie, nicht mehr unterwegs sein zu können, weil der Körper nicht mehr mitmachte. Sie versuchte so lange wie möglich autark zu bleiben, den Haushalt, die alltäglichen Erledigungen, die von Jahr zu Jahr schwerer wurden, trotz allem allein zu bewältigen, um bloß niemandem zur Last zu fallen. Tante Lisbeth war seit einem Schlaganfall vor 8 Jahren, im Alter von 84 Jahren, verurteilt, im Bett zu liegen und zu warten. Zu warten auf die Familie, die Verwandten, die Freunde, den Besuch vom Pfarrer oder der Doktorin und schließlich zu warten, bis der Liebe Gott sie heimholen würde.

Der Schwarz
Wenn der Schwarz heute käm, bei dem schönen Wetter, da tät sie ihn glatt wieder fortschicken. Da tät sie sich nicht holen lassen, vom Schwarz. Nicht an so einem Tag, wo man heute doch so schön die Gartenarbeit machen kann.

Rückfahrkarten
Früher hat Tante Lisbeth immer gleich eine Rückfahrkarte genommen, wenn sie die Kinder besucht hat. Aber jetzt löst sie am Besten bloß noch Hamburg einfach. Man weiß ja nie, was einem so passiert. Und dann hätte man womöglich ganz unnötig das Geld für eine Rückfahrkarte ausgegeben.

Nicht ins Krankenhaus
Nein, sie will nicht. Nein, sie geht nicht ins Krankenhaus. Sie will zuhause bleiben. Zuhause kennt sie sich aus, da weiß sie, wo der Kaffee steht und auch die Marmelade. Da findet sie selbst im Dunkeln den Weg zur Toilette oder ins Bad. Zuhause kann sie sich wenigstens nicht verlaufen. Zuhause kann sie essen und trinken, wann sie will, sie kann schlafen, wann sie will und sie kann sterben wann und wie sie will. Wer weiß, ob man aus so einem Krankenhaus je wieder rauskommt.
„Wenn Du krank bist,“ sagt Tante Lisbeth zum Doktor, „hüte Dich vor dem Doktor! Das ist eine chinesische Weisheit!“

Aufschub
Nun hat ihr ja der liebe Gott noch mal einen Aufschub gewährt. Hat er es etwa gut gemeint? Man wird sehn. Man weiß ja, dass alles für irgendwas gut ist. Jedenfalls ist jetzt erstmal nix mit verreisen. Jetzt ist Tante Lisbeth nur noch ein halber Mensch, weil sie nur noch die halbe Körperseite spürt. Da kann man schlecht in ein Flugzeug steigen.
Dass ihr aber auch ausgerechnet so was passieren muss. Es hätte doch auch anders gehen können, ein Schlag, peng und es ist Schluss und man merkt nicht mal was davon. Aber der liebe Gott hat es so nicht gewollt. Er wird sich schon was dabei gedacht haben.

Tante Lisbeth will bloß noch sterben
Tante Lisbeth will bloß noch sterben. Sie mag nichts mehr essen. Sie mag auch nicht mehr rausgehen. Sie will bloß noch sterben.
Sie will auch keine großen Blumenbuketts. Sie will alles ganz schlicht. Jeder der zur Beerdigung kommt soll eine rote Rose mitbringen, sonst nichts. Wenn sie jetzt gleich sterben würde gäbe das einen ganz schönen Rosenberg. Aber wenn es noch lange dauert, ist ja doch keiner mehr da, der sie kennt. Wer soll denn da noch auf den Friedhof kommen, außer den Kindern und den Enkeln. Und die wohnen ja alle auch soweit weg, dass man ihnen das gar nicht zumuten kann.
Ein bisschen Efeu oben auf `s Grab und ein schmiedeeisernes Kreuz, sonst braucht sie nichts, dann hat niemand nachher noch viel Arbeit mit ihr.
Die Psalmen und Choräle hat Tante Lisbeth schon ausgesucht – wenn bloß der Pfarrer nicht solang daherredet von Sachen, von denen er nichts weiß.
Tante Lisbeth will bloß noch sterben. Sie will endlich für immer ihre Ruhe haben.

Tante Lisbeth macht sich Gedanken
Sie will ja bloß, dass alles gerichtet ist, für den Fall, dass sie mal nicht mehr sein sollt. Wer soll denn dafür sorgen, dass auch alles richtig klappt?
Man will ja nicht, dass es ein riesiges Durcheinander gibt. Man hat sich ja schließlich lange genug Gedanken darüber gemacht. Man hat ja auch so seine Vorstellungen, wie man die Beerdigung gerne hätte. Was sollen denn auch die Leute denken, wenn `s ausgerechnet bei ihr dann noch einen Kuddelmuddel gibt. Bloß weil sie nicht mehr da ist und nicht mehr dafür sorgen kann, dass alles seine Ordnung hat.
Es macht `s einem außerdem leichter, wenn man weiß, wie das Ganze mal so ablaufen wird. Traurig ist, dass die Maria Jäger-Jung nicht Klavier spielen kann, weil sie ja schon gestorben ist.
Jemand muss unbedingt die Liedblätter für die Gemeinde vorbereiten, weil das Lied „Ich bin durch die Welt gegangen“ nicht im Gesangbuch steht.
Es muss unbedingt jemand auf die Bank gehen und Geld holen, sie hat ja gar keins hier. Dabei muss man der Sängerin unbedingt ein Trinkgeld geben, die bei der Beerdigung so schön gesungen hat und den Männern, die den Sarg getragen haben, denen gehört auch ein schönes Trinkgeld.

Singen
Tante Lisbeth will, dass bei ihrer Beerdigung gesungen wird, richtig schön und laut! „ Und wenn Ihr nicht richtig schön und laut sing“ sagt sie, „das sag ich Euch, da könnt Ihr was erleben. Da setz ich mich im Sarg noch mal auf, damit Ihr ´s nur wisst! Es soll gesungen werden und nicht geweint!“

Wo ist bloß der Herrgott?
Was hat sie bloß getan, dass sie so was erleben muss. Hat sie denn nicht immer versucht, dem Herrgott zu gefallen? Sie hat ´s doch ein Leblang nicht leicht gehabt. Warum kann denn da der Herrgott nicht wenigstens jetzt mit ihr gnädig sein? Wo ist bloß der Herrgott, wenn man ihn ruft? Wo ist bloß das Gottvertrauen, wenn die Schmerzen kommen und die Nächte so lang sind?
Sie hätte so gerne auf dem Friedhof den Platz neben ihrer Freundin gehabt, aber wenn es noch lange dauert, ist der Platz vergeben und sie liegt dann ganz allein, neben Leuten, die sie gar nicht kennt.

Der richtige Zeitpunkt
Wenn man so alt ist, wär ´s eigentlich an der Zeit abzutreten. Man hat ja doch nicht mehr viel vom Leben. Man ist sich selbst und den anderen eine Last.
Wenn es bloß nicht so schwierig wäre, den richtigen Zeitpunkt zu finden, so dass man es auch allen mit der Beerdigung recht macht.
Im Winter, da ist es zu kalt für eine schöne Beerdigung. Im Frühjahr, da hat man doch keine Lust auf eine Beerdigung zu gehen, da hat man wirklich anderes im Sinn. Im Sommer ist es viel zu heiß für eine Beerdigung, und außerdem ist da ständig irgendjemand von der Familie im Urlaub und eventuell sogar der Herr Pfarrer. Und der Herbst, der ist schon so traurig genug, da muss man den anderen nicht noch das Herz schwer machen, indem man stirbt. Nein, es ist wirklich nicht leicht, den richtigen Zeitpunkt zu finden.

Ich bin durch die Welt gegangen
1) Ich bin durch die Welt gegangen, und die Welt ist schön und groß,
und doch ziehet mein Verlangen mich weit von der Erde los.
2) Ich habe die Menschen gesehen, und die suchen spät und früh,
sie schaffen, sie kommen und gehen, und ihr Leben ist Arbeit und Müh.
3) Sie suchen, was sie nicht finden, in Liebe und Ehre und Glück,
und sie kommen belastet mit Sünden und unbefriedigt zurück.
4) Es ist eine Ruh vorhanden für das arme müde Herz;
sagt es laut in allen Landen :
Hier ist gestillet der Schmerz.
5) Es ist eine Ruh gefunden für alle, fern und nah,
in des Gotteslammes Wunden,
am Kreuze auf Golgatha.


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1 Kommentar zu “„Der Schwarz“ – Wie Tante Lisbeth mit der Sterblichkeit umgeht”

Das ist ja ein ganz wunderbarer Text!
Wenn ich das so zusammenhängend lese, dann werden mir viele Äußerungen und auch Vorkehrungen alter Menschen verständlicher …

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