Die Uhr anhalten
Liebe Leserinnen und Leser,
ich arbeite gerade auf Hochtouren in unserer Silvesterfreizeit. Drum bekommen Sie heute ungekürzt und unangepasst, was ich nachher im Silvestergottesdienst sagen werde. Kommen Sie gut ins neue Jahr! Vielen Dank für Ihre Treue, Ihre Rückmeldungen auf den Blog – und ich freue mich auf mehr im neuen Jahr!
Herzliche Grüße Ihre Annegret Zander
Ticktickticktick…Diese alte Uhr hier stammt aus dem Pfarrhaus meines Urgroßvaters. Vielleicht haben Sie zu Hause ein ähnliches Exemplar stehen oder eine von den Uhren, die auf den Anrichten standen mit goldenem Zifferblatt und vollem Klang zur  halben und vollen Stunde.
Diese hier läuft immer noch genau. Sie tickt unermüdlich und lautstark, solange man nicht vergisst sie aufzuziehen.
Ich kann tickende Uhren ehrlich gesagt in meiner Umgebung nicht so gut leiden. Ob am Handgelenk oder an der Küchenwand: sie machen mich wahnsinnig. Als würde das Ticken mich antreiben und niemals zur Ruhe kommen lassen.
Das war früher, als ich ein Kind war anders. Wir hatten im Wohnzimmer eine Uhr mit Pendel. Und ich liebte es, das Hin-und Herschwingen zu beobachten. Damals war Zeit für mich sowieso eher ein Schwingen, glaube ich, ein Rhythmus, in dem ich vertrauensvoll und selbstverständlich mitging, mitschwang. Heute scheint die Zeit mich zu treiben, scheint immer schneller zu rennen. Gerade alte Menschen bestätigen mir, dass die Zeit immer schneller vergeht. Selbst bei denen, deren Tage nicht mehr randvoll sind mit Dingen, die zu tun sind. An meinem Handgelenk trage ich stille Uhren. Natürlich zeigen auch sie den Weitergang der Zeit an, aber sie halten es mir nicht andauernd erbarmungslos vor die Ohren.
Als Kind fand ich es irritierend, wenn das Pendel einmal nicht mehr schwang. Dann hatte mein Vater oder meine Mutter vergessen, die Uhr an den Ketten wieder aufzuziehen. Die Stille fiel auf. Die angehaltene Zeit war irgendwie nicht richtig. Heutzutage denke ich manchmal: ach, könnte nicht mal einer die Uhr anhalten. Kennen Sie das?
Es sind die stillen Momente, wo alles getan ist, eine Kerze brennt und nichts und niemand mehr etwas von mir will.
Es sind diese Momente von Glück, oft haben sie mit Kindern zu tun, mit schönen beglückenden Begegnungen an besonderen Orten.
Welche Momente erinnern Sie aus diesem Jahr, an denen Sie gerne die Zeit angehalten hätten, Glücksmomente, Frohes, Gelungenes?
Wir nehmen uns Zeit, um uns zu erinnern.
Lassen Sie uns etwas tun, was man sonst nicht in der Kirche tut: lassen Sie uns teilen, was uns in diesem Jahr glücklich gemacht hat:
Sagen Sie es mit ein zwei Worten in unsere Mitte hinein. Sie brauchen es nicht zu erklären, nur zu benennen. Geteilte Freude ist doppelte Freude.
Das Glück des Anfangs,
das Glück der Gemeinschaft,
die Zufriedenheit eines gelungenen Abschieds.
Wir können diese Momente nicht festhalten, aber wir tragen sie in uns. Wir wärmen jetzt damit unser Herz, indem wir es teilen, weben wir ein Netz, das uns weiter trägt, als wenn wir alleine durch die Welt gehen.
Ich habe in diesem Jahr etwas gelernt, das mich bei allem, was schlimm war, getragen hat: dort wo wir unsere Gedanken und unsere Erfahrungen teilen, entsteht ein Netz von Menschen, die sich gegenseitig tragen.
Das ist mein Ausblick und Wunsch für das Neue Jahr, dass wir aus unseren Zeitwinkeln und Zeitzwängen heraustreten und noch mehr daran wirken, uns miteinander zu verbinden: Kirche und Kommune, BürgerInnen und PolitikerInnen, Alte und Junge, Menschen verschiedener Herkunft und verschiedenen Glaubens. Für uns alle tickt dieselbe Zeit, wir alle leben in derselben Welt. Und wir alle können unseren kleinen Teil dazu beitragen, die Zeit auf dieser Erde für alle etwas besser zu gestalten. Mit unseren je eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten können wir die Zeit segensreich füllen.
Und noch ein anderer Gedanke verbindet sich damit. Ja, die Zeit rennt, sie rennt uns davon, je älter wir werden. Wir werden manches nicht zu Ende bringen. Aber manches wird bleiben, so wie diese alte Uhr immer noch tickt. Und manches wird jemand anders aufgreifen und weiterführen. Jemand aus diesem Netz, in dem wir alle verbunden sind.
„Meine Zeit steht in deinen Händen“ heißt es in Psalm 30. Unser Netz hat einen doppelten Boden. Wir sind gehalten in der Zeit.
Die Zeit schreitet fort. Möge Gott unsere Zeiten segnen
Lied: 560 Es kommt die Zeit
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Guter Gott,
in deine Hände legen wir dieses Jahr zurück.
Uns bewegen Dankbarkeit und Traurigkeit,
Enttäuschung und Wut,
Freude und Mut.
Wir sammeln in unseren Händen
Was uns misslang und wo wir andern etwas schuldig blieben, was schwer war und schwierig
Hilf uns, dies anzunehmen
und neue andere Wege im Neuen Jahr zu versuchen.
Wir legen es ab und bitten dich Gott,
 wandle es in Segen
Wir sammeln in unseren Händen
und feiern, was gelungen ist.
Was in diesem Jahr schön war, und uns froh machte.
Wir danken für den Segen, den wir auf vielfältige und unerwartete Weise erhalten haben.
Wir nehmen es zu uns und danken dir Gott
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