Sehet – schmecket: Götterspeise statt hartem Brot
Warum erzähle ich Ihnen, was ich heute erlebte? Weil vielleicht auch Sie auf der Suche nach Seelennahrung sind. Und weil Gabi Erne in der zweiten Lebenshälfte die Verbindung von Küche und Altar mutig voran bringt.
Im dunkel getäfelten Eingangsbereich empfangen Sie weiß gekleidete Menschen mit Schürzen. In ihren Händen riesige Schalen mit klein geschnittenem Graubrot in rauhen Mengen. Ermuntert greift man hinein und noch kauend stößt man auf Reihen von weiß eingedeckten Tischen. Weißer Suppenteller, Löffel, orange Serviette. Rund um das Kirchgestühl. Ja, Sie sind in der Marburger Universitätskirche, nicht in einem Restaurant. Geladen hat das Institut für Kirchenbau und kirchliche Kunst der Gegenwart.
Kürbis und Kardamom – Gloria
Um den Altar noch mehr Tische und Bänke. Wir nehmen erwartungsvoll im Gestühl Platz. Auf dem Altar türmen sich Zwiebelschalen, Kartoffelschalen, Karottenschalen, Rosmarintöpfchen und frische Petersilie. Ein Kreuz – aus Brotstückchen. Dahinter steht und wirkt eine in weiß gekleidete Frau. Sie schält Kartoffeln, schrabbt Möhren, zerkleinert Zwiebeln, rührt in den Töpfen, die rechts und links des Altars auf Rechauds köcheln. die Orgel spielt, Pfarrer Prof.Dr. Thomas Erne steht vor dem Altar, begrüßt, betet. Die Frau kocht weiter, wie daheim, in aller Ruhe und mit Hingabe. Beim „Ehre sei Gott in der Höhe“ beginnt ein Duft von Kürbis und Kardamom die ersten Reihen zu streifen.
Himmel und Hölle – das gleiche Szenario: an reich gedeckten Tafeln sitzen die Menschen. Statt Händen haben sie lange Löffel. Die Menschen in der Hölle werden vor dem reich gedeckten Tisch verhungern. Nicht so im Himmel. Hier füttern sich die Gäste gegenseitig.
„Gesegnet die Zwiebel“
„geben und nehmen“ heißt die Aktion, die Künstlerin Gabi Erne diesem Sonntag Morgen in der Universitätskirche in den Gottesdienst ein…rührt, als wäre es das Normalste auf der Welt. Und für mich bekommt eine Sehnsucht reichlich Nahrung, die mich schon immer umtreibt: die Gastfreundschaft Jesu war mit Essen und Trinken verbunden, mit einer Gemeinschaft, die auch Außenseiter und sehr unterschiedliche Menschen an einen Tisch holte. „Sehet und schmecket, wie freundlich unser Gott ist.“ Heute habe ich es geschmeckt, gerochen, genossen. Den Segen über den Zwiebeln aus Cölbe, das Lob des orangen Kürbis mit seinen hundert weißen Samen, die Seligkeit die der feine Duft einer Biomöhre schenkt. Genuss. Götterspeise.
Füttern?
Und noch eins drauf, nachdem wir uns an den Tischen versammelt haben: Alte und Junge, Studierende und alt gediente TheologInnen, Männer, Frauen, Kinder. Leuchtend orange Suppe auf himmelweißem Teller und die Einladung, uns diese Suppe gegeseitig anzureichen. Zu füttern? Nein. Achtsam zu reichen. Das Privileg, uns gegenseitig Genuss zu bereiten. (Das lässt mich auch noch einmal ganz anders über das Füttern der Babys und der Alten nachdenken.) Es ist nur wenige Sekunden peinlich. Wir werden eingeladen, dabei still zu sein. Wie gut. So kann jeder wärmende köstliche Löffel Kürbissuppe in Ruhe verklingen.
Es mag pathetisch klingen, und auch Thomas Erne hat es gewagt, so missverstanden zu werden in seiner Predigt: Verwandlung hat stattgefunden. Eine Tischgemeinschaft für den Moment, die tiefer wärmt.
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