Buchbesprechung: Jörg Zink, 89J., Die Stille der Zeit. Gedanken zum Älterwerden
Wie schon lange nicht mehr habe ich mich in dieses Buch hineinziehen lassen. Der 89-jährige ehemalige Star der Kirchentage Jörg Zink schreibt sein zweites Buch über das Älterwerden. Mit 66 hatte er zuletzt darüber geschrieben. Jörg Zink ist evangelischer Theologe und Publizist. In meinem Bücherregal stehen seine „Klassiker“ über das Beten. Er hat zusammen mit Hans Jürgen Hufeisen wunderschöne Liturgien für Leib und Seele entworfen. Was weiß er über das Altsein? Ich will es unbedingt wissen.
Zwischen Tag und Traum, morgens um vier Uhr setzt er sich wieder an den Schreibtisch, die stillste Tageszeit, bevor die Vögel zwitschern und der Tagesrhythmus den Geräuschpegel hochsteuert. In „Die Stille der Zeit. Gedanken zum Älterwerden“ lässt er uns Anteil haben an seinen Erfahrungen des durchaus mühevollen Altwerdens und seinen spirituellen Wegen auf den späten Spuren seiner Lebenszeit. Er bleibt dabei der der Welt in Verantwortung zugewandte Mensch, als den ich ihn in den 80ern schätzen lernte. Dabei fühlt sich das Lesen immer wieder wie eine Traumzeit an. Der Stil wechselt zwischen Poesie und Prosa, zwischen Belehrung und Fragen. In eineinander verschlungen sind diese Themen:
- Über das Altsein
Es sind Sätze wie „Ein alter Körper wird nicht gerne aufgesägt, repariert und wieder zugenäht.“ (S.14), die mich aufhorchen lassen. Eine Bypass-operation mit 88 beschert ihm eine lange Phase der Depression, der zögernden Rückkehr der Seele in den Körper, die schon auf dem Weg in eine andere Welt war. Er bleibt bei seinen Seiten über das Altern in der Ambivalenz: wir haben sein Buch in Händen, eine Frucht seines Überlebens, ein Geschenk. Doch er verschweigt das Schwere nicht und zeigt zugleich realistische Vorbilder. Diese Ehrlichkeit ist erleichternd – für alte Menschen vielleicht sogar tröstlich. - Über das ehrliche Abschiednehmen
Jörg Zink plädiert für einen ehrlichen Rückblick auf das eigene Leben. Das alltägliche Erkennen, dass dies und jenes nicht mehr so geht, wie man es bisher konnte. Er weiß von den Schleifen, in die man dabei geraten kann, wenn man sich auch das Misslungene im Leben vor Augen führt. Hier gibt er keine Rezepte, aber eine Erfahrung: „Was tun? Zunächst Gott, dann wohl auch Menschen gegenüber sagen, was war, ohne Beschönigung und Erklärung. Vergebung erbitten für das, was nicht mehr gut zu machen ist… Ob die Äste an mir krumm sind, ist nicht das Wichtigste. Sondern dass ich im Licht Gottes – trotz allem – an meinem Platz leben darf.“ (S. 106)
- Über Gott
Ehrlich gesagt, ich habe mich geärgert. An einer zentralen Stelle legt Jörg Zink den Lesern das Bild Gottes als „Ihr Vater im Himmel“ ans Herz. In meiner Arbeit als Seelsorgerin habe ich genügend Menschen kennengelernt, die an dieser Stelle das Buch zuklappen würden. Denn für viele ist das Vaterbild das Gegenteil von Trost, Schutz oder guter Stärke. Ich wünsche mir – auch von alten – TheologInnen, dass sie hier von sich selbst sprechen. Denn dass Jörg Zink dieses Gottesbild als tröstlich erlebt, kann ich offenen Herzens nachvollziehen. Also: tapfer weiter lesen. Später räumt er ein, dass das Bild, das er selbst so klar vor Augen und Seele hat, nicht jeder Mensch teilen kann. Er ermutigt zum Rückblick durch die Brille „Erfahrungen mit Gott“. - Über die Weltverantwortung der Alten
Mitdenken im Zeitgeschehen, Hineinreden, Hand anlegen für die Gerechtigkeit, das hört für Jörg Zink nie auf. Wie genau, das gehen kann, sagt er nicht. Nicht jede/r hat die Möglichkeit, sich per Skype beim Kirchentag auf die Leinwand einer großen Halle zu beamen. (Was für eine tolle Idee und Möglichkeit, die physischen Grenzen zu überwinden!) Aber beeindruckt hat es mich: als alter Mensch kannst du dich nicht aus dieser Verantwortung herausziehen. Finde deinen eigenen kleinen Weg, sie zu leben.
- Über „die andere Seite der Wirklichkeit“
„Und was erwarte ich?
Nicht, was man ewige Ruhe nennt.
Das ist zu sehr von unserer Müdigkeit aus gedacht.
Ich glaube, dass meine Wege weitergehen,
auch von Erkenntnis zu Erkenntnis,
dass ich einen neuen Raum erfahren werde
und dabei mehr verstehe von mir selbst,…“ (S. 113-114)Hier war ich besonders aufmerksam und versunken zugleich. Ein alter Mensch, der sich seine Bilder vom Gehen und Ankommen macht, den Wunsch äußert, endlich zu sehen, wie es auf der anderen Seite aussieht. Besonders eindrücklich für mich, die ich noch sehr in der lauten Zeit lebe: das Bild der „Zeitstille“ (S. 126) Jörg Zinks Bilder haben mich sehr dazu angeregt, meine eigenen wieder hervor zuholen und zu prüfen. Über die Ewigkeit und das, was dann kommt, lässt sich nur in (Traum-)Bildern sprechen. So tat es bereits Paulus und wir finden unsere eigenen.Jörg Zinks Buch eine große Quelle, sich die wesentlichen Fragen des Altseins zu stellen. Wie gesagt, das kann man schon mit Mitte 40. Aber ich wäre interessiert daran, wie alte Männer und Frauen es lesen. Also werde ich dieses Buch gerne verschenken.
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