Der Blog für die zweite Lebenshälfte

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Gedanken zum Film „Zu Ende ist alles erst am Schluss“

Veröffentlicht in: Älterwerden (im Selbstversuch), Andacht/ Spiritualität, Bücher/Filme, Endlichkeit

Schweigen ist Silber, Reden ist Gold
(AZ) Sohn fährt Mutter ins Altenheim. Es ist ihr Umzug, den sie nicht gewollt hat. Sohn redet ohne Luft zu holen. Vom Wetter, von der Wärme im Auto, von Nichtigkeiten. Mutter kneift die Lippen zusammen und wird immer blasser. Ich mit ihr. Und zorniger. Ich sitze im Kino „Zu Ende ist alles erst am Schluss“. Hier wird das ganz normale Leben gezeigt. Alle haben gerade die Richtung im Leben verloren: der Enkel weiß nicht, wohin beruflich und in der Liebe. Sein Vater ist in den Ruhestand gestolpert, die Ehe ist erkaltet. Die Großmutter kann nach einem Sturz nicht mehr in die alte Wohnung zurück. Ihre Söhne entscheiden ohne sie: Altenheim.

Um den heißen Brei
Kennen Sie, oder? Die großen Schnittstellen des Lebens. Und wissen Sie, was für mich das Schlimmste in diesem Film war? Wie im richtigen Leben: Die quasseln in einer Tour um den heißen Brei herum. So laut, schnell und viel, dass ja kein echtes Gefühl dazwischen kommt. Das, was wirklich von Bedeutung ist und die Menschen wieder zueinander bringen könnte, wird beschwiegen. Natürlich ist das der Stoff, aus dem Filme genäht werden. Leider auch das Leben. Mal ehrlich: Wie oft haben Sie sich um Kopf und Kragen geredet – oder an der falschen Stelle geschwiegen? Während Ihre Ehe kalte Füße kriegt. Während es absehbar ist, dass Sie selbst oder Ihr alter Vater kaum noch einen Fuß allein vor den anderen setzen kann. Während eine Freundschaft zerbröselt, weil keiner sagt, was er vom anderen braucht, erwartet und was man aneinander schätzt.

So taumelt man einsam durch die Beziehungen, statt gemeinsam die Wege zu betrachten und vielleicht auch gemeinsam zu planen und zu gehen.

Rede-Variationen
Natürlich gibt es hilfreichere und weniger hilfreiche Variationen von Reden.
„Ich sag, dir jetzt mal, wie du es machen sollst“(auch in der Variante „verschärfter Rat-Schlag“) – kommt besonders bei jungen Menschen richtig gut an. Denn natürlich wünschen sie sich Orientierung, aber den Weg wollen (und müssen) sie schließlich alleine finden.
Aber auch alte Menschen sind total begeistert, wenn man ihnen den Weg vorgibt. Ab wann verspielen Alte das Recht, ihre eigenen Fehler zu machen und die Konsequenzen zu tragen?
So entstehen die Verletzungen. Im Nachgespräch zur Filmvorführung äußerte eine Frau ihre Schuldgefühle der Mutter gegenüber, weil sie sie ins Altenheim gebracht hatte. Hatte sie versäumt, mit ihr zu sprechen und einfach entschieden? Vermutlich waren es beide, die – wie die meisten anderen – das Thema so lange vor sich her schoben, bis der Notfall eintrat und eigentlich kein Spielraum mehr war.

In dem Film ging es eigentlich um Gefühle: um Angst und Sehnsucht. Sie laufen wie ein Freund neben uns her, sind greifbar und sind doch so schwer zu benennen. Gerade, wenn man sie mit denen teilen soll, denen man am nächsten steht. Denn wenn man über das Altersheim spricht, dann schiebt sich auch der große Abschied in die Nähe des Herzens. Wenn man über die Liebe oder die Zukunft spricht, schwingt auch die Option des Scheiterns mit.
Darum wäre der mutige Schritt eins vielleicht das Schweigen, bevor man das Wichtige niederredet. Manchmal findet man die Lösung erst, wenn die Gefühle auf dem Tisch sind. Dann erst kann man wirklich miteinander reden, hören was der oder die andere braucht. Auch darüber reden, was vielleicht entgegen der eigenen Vorstellungen in der jetzigen Situation nötig ist. Im Film wendet sich das Blatt übrigens, als Sohn und später auch Vater mit einem Orakel sprechen – ein einsilbiger Tankwart, der die richtigen Worte im richtigen Moment parat hat. Und die Großmutter findet ihren Frieden, als sie am Ort ihrer Kindheit mit den Schulkindern spricht, die sie begeistert alles fragen, was man von einer so alten Frau erfahren kann.

„Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde: …schweigen hat seine Zeit, reden hat seine Zeit“, sagte schon der Prediger. (Pred/Koh Kapitel 3)


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1 Kommentar zu “Gedanken zum Film „Zu Ende ist alles erst am Schluss“”

Eine sehr schön geschriebene Rezension zu einem wuderbaren Film. Diese Lektion müssen wir wohl alle im Leben lernen. Aber es ist ja auch gerade spannend, sich selbst imemr wieder zu überwinden und dafür sind wir ja hier – um ständig zu wachsen!

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