Wie hältst du es mit dem Totenhemd? oder: Kann man auch leicht übers Sterben reden?
(AZ) Vor Jahren saß ich abends beim Kochen am Küchentisch eines guten Freundes. Der hatte mit 60 gerade erst eine Hirnblutung überlebt und lernte nun mit den Folgen zu leben. Während wir so am Schnippeln und Rühren waren, fragte er in die Runde: „Und wie wollt ihr so beerdigt werden?“ Ich weiß nicht mehr, was ich damals genau geantwortet habe. Meine Vorstellungen zu meiner Bestattung haben sich seither mehrfach geändert. Aber mich ließ nie mehr die Erinnerung an die Leichtigkeit dieses Abends los.
Wir reden jetzt ständig übers Sterben
So hätte ich es gerne immer mit diesem Thema, dachte ich damals. Inzwischen habe ich mit meiner Freundin Petra Schuseil einen Blog gestartet „Totenhemd – Blog. Übers Sterben reden“. Seit Januar forschen, telefonieren und schreiben wir rund ums Sterben. Mit einer Frage ging es los: Früher hatten die Menschen in ihrem Wäscheschrank bereits ein Leinenhemd für den Sarg – ihr Totenhemd – liegen. Es war eine tägliche Erinnerung an die eigene Sterblichkeit. Mit dem Einzug von Polyester und deren Schwestern in den 50er Jahren verschwand dieser Stoff und diese Tradition – und damit auch die Selbstverständlichkeit, mit der der Tod im Leben seinen Platz hatte.
Eine meiner Küchentisch-Theorien ist, dass die beiden Weltkriege mit all ihren Toten den Überlebenden derart zu viel wurden, sie so verfolgten, dass sie das Sterben lieber aus ihrem Leben verdrängten. Eine Überlebensstrategie. Die wir nun nicht mehr brauchen. Es wird wichtig, dass wir das Sterben ins Leben zurückholen, bevor noch mehr Menschen ihr Sterben anderen gegenüber für unzumutbar halten – und lieber frühzeitig aus dem Leben treten wollen.
Das letzte Hemd – wir wählen Kleider
Petra und ich haben schon Einiges durch den Blog erlebt. Zum Beispiel haben wir jetzt klar, was wir anziehen wollen, wenn wir tot im Sarg liegen: Petra ihr umgearbeitetes Hochzeitskleid mit roter Jacke aus Hong Kong, Annegret ihr Lieblingskleid in Braun mit Kapuze, dazu die bunte Sterbedecke, die eigens noch schnell für den Anlass genäht wurde: Wir durften an einem Fotoprojekt des Bestattungsinstitut Pütz-Roth in Bergisch-Gladbach teilnehmen. „Das letzte Hemd“ wird ab April nächsten Jahres als Ausstellung zu sehen sein. So lagen wir auf einem Sargkissen, ich rückte die Haarsträhnen meiner Freundin zurecht und stellte berührt fest, wie wichtig es mir ist, dass sie schön aussieht. Eine Geste, die ich dermaleinst vielleicht an ihr wiederholen werde. Wir haben auch geklärt, dass wir auf keinen Fall eines von den Totenhemden anziehen möchten, die es bei Bestattern zu kaufen gibt. Weiß und rüschig. Bitte. Nicht.
Kann man zu viel übers Sterben reden?
Unser Blog hat monatlich 500 BesucherInnen, die offenbar in aller Ruhe in unseren Texten stöbern. Das zeigt uns, dass es ein Interesse daran gibt, anders an das Sterben heranzugehen. Mit Besucherinnen wurden in den Kommentaren schon heiße Diskussionen geführt, wie genau man seine Beerdigung vorbereiten sollte, ob man Angehörigen testamentarisch vorschreiben darf, dass sie nichts Schwarzes anziehen und nicht weinen sollen. Petra hat diverse Praktika beim Züricher Friedhof und Krematorium hinter sich. Letzteres hat ihr dann erst mal den Rest gegeben. Aber inzwischen forscht sie wieder in jede Richtung. Fällt es uns dadurch leichter, mit anderen übers Sterben zu reden?
Es gab Zeiten, da dachte ich, ich falle komplett aus der Gesellschaft, weil ich mich mit „so einem Thema“ so intensiv beschäftige. Allerdings habe ich durch meinen Satz „Ich schreibe jetzt diesen Blog …“ sehr viel Interesse bei Freundinnen und Menschen, denen ich durch meine Arbeit begegne, erfahren und viele interessante Gespräche geführt.
Mit der Familie ist es immer noch schwierig. Nur meine alte Tante steigt mit ein, denn sie hat alles, was man so regeln kann, geregelt. Je näher man sich steht, desto schwieriger ist es, übers Sterben zu reden. Aber es geht. Und immer, wenn es geschieht, hat es uns einander näher gebracht.
Wenn ich drüber rede, sterb´ ich bestimmt!
Ich werde nicht müde, eine weitere Küchentisch-Theorie auszubreiten: Ich glaube, wir reden auch nicht übers Sterben, weil wir denken, dass dann unweigerlich der Tod kommt und uns holt. Das ist so eine Art magisches Denken. Nun ja… Ich lebe noch. Alle anderen mit denen ich sprach auch. Aber natürlich steht der Knochenmann mit der Sense überall herum. Im Mittelalter gab es viele Abbildungen mit dem Sensenmann. Sie machten deutlich, dass es jede/n jederzeit treffen kann. Wir sind endlich. Insofern kann ich sagen: Ich sterbe bestimmt. Das ist das einzige was sicher ist. Und weil ich mich damit beschäftige, denke ich immer mehr über das Leben nach, das was mir wichtig ist, was ich nicht aufschieben will, was mich lebendig macht, mir Lebenslust und Tiefe schenkt.
Und das ist ein großer Gewinn.
Bestattung muslimischer Perspektive: Seid ihr wahnsinnig?
Eine Anekdote muss ich noch loswerden: vor Kurzem war unser Infoabend zum Grundkurs Erwachsenenbildung in Hanau (den ich Ihnen noch mal sehr ans Herz legen möchte! Anmeldeschluss ist der 1.12.!). Unter den Teilnehmenden eine Muslima aus der Nachbarschaft. Ich freue mich schon, mit ihr zu lernen. Zum Beispiel dies:
Am Tag des Friedhofs erkundigte sie sich über die Gepflogenheiten einer typisch deutschen Beerdigung und war entsetzt wie umständlich dies sei:
– einen Sarg aus 10 Varianten wählen,
– wie soll der Sarg ausgestattet werden,
– den Bestattungsort wählen,
– die Bestattungsform (mit Grabmal, Familiengrab, Urnengrab, anonym, Friedwald, See etc) entscheiden
– Was zieht man dem/der Verstorbenen an?
Um nur einiges zu nennen. Und das sei ja unfassbar teuer! Völlig verrückt!
Bei den Muslimen sei das einfach: ein schlichter Holzsarg, der immer wieder verwendet würde, ein Leichentuch, in dem die Toten in der Erde bestattet werden. Fertig. Sie habe für sich (Mitte 40) und ihre Angehörigen im Übrigen schon lange eine Sterbeversicherung laufen, 50 Euro im Jahr und am Ende sei die ganze Bestattung inklusive Rückführung in die Türkei schon bezahlt. Ganz einfach.
Ich freue mich auf viele weitere Erkenntnisse und Gespräche und hoffe, Sie zetteln dies auch immer wieder mal an, am Küchentisch, bei einem geplanten Gespräch mit der Familie, bei zufälligen Bekanntschaften, mit dem besten Freund, in Ihrer Seniorengruppe. Und ich hoffe, Sie spüren, wie wertvoll das ist.
Hier geht’s zum Totenhemd-Blog
Im November haben wir übrigens GastschreiberInnen zu Besuch. Vielleicht mögen Sie auch noch mitmachen?