Zwischen Ewigkeit und Advent: 3 Sänger und das Rätsel
(AZ) Ich wollte hier das ganze Jahr über die Alben von drei 3 Sängern schreiben: David Bowie, Udo Lindenberg und Leonard Cohen. Aber ich wusste nicht wie. Ich hörte ihre Musik, tauchte ein und fand nie die richtigen Worte. Ich weiß jetzt warum: Sie haben das Rätsel bewahrt. Das ist ihr Alters-Geschenk.
Vieles hat mich in diesem Jahr beschäftigt. Zum Beispiel die Frage, wie das ist, wenn man alt wird, ich meine, richtig alt. Ich frage mich, wie die 100 – Jährigen, die in den Heidelberger Hundertjährigen-Studien beschrieben werden, es geschafft haben, sich mit ihren Einschränkungen zu arrangieren.
Der Tod hat mich beschäftigt, als er unversehens in meiner Nachbarschaft einzog. (Er ist mein Freund.)
Zwischen Ewigkeit und Advent taste ich mich heute also einmal an die großen Fragen. Alter. Tod. Und weiter. Ich verspreche Ihnen, es geht rätselhaft aus. Denn auch das habe ich dieses Jahr lernen dürfen. Es ist zutiefst im jüdisch-christlichen Glauben und unseren heiligen Schriften verankert, dass das Leben und der Tod und all das dazwischen und auch Gott, Fragen offen lassen. Gott bleibt ein Rätsel. Halleluja.
Alles in allem ist das nichts für schwache Nerven. Ich bin dieses Jahr 50 geworden und merke, dass meine Nerven inzwischen eine gewisse Stärke entwickelt haben. Wie mag das erst sein, wenn ich 69 bin, so wie David Bowie oder 82, so wie Leonard Cohen. Diese beiden Musiker und dazu noch Udo Lindenberg, der dieses Jahr 70 wurde, haben mich in diesem Jahr beeindruckt. Sie könnten in ihren Musikgenres nicht unterschiedlicher sein. Zwei, Bowie und Cohen starben wenige Tage nachdem ihre neuen Alben erschienen. Wie seltsam und besonders. Lindenberg feiert sein Alter. Auch dies besonders.
Der schwarze Stern
David Bowies Album „Blackstar“ erschien am 2.Januar. Er starb am 10. Januar, 2 Tage nach seinem 69. Geburtstag an Krebs. Die Öffentlichkeit war schockiert. Er spielte sein Künstlerleben lang mit seinen Kunstfiguren, mit Gender und Musikgenres und nun mit seinem Ende. Er erfand sich immer wieder neu. Die Musikwelt rätselte über „Blackstar“. Das Video zum Titelsong ist krass. Major Tom liegt tot in seinem Raumanzug, ein Skelett fliegt ins Licht, Tänzerinnen choreographieren in Pina Bausch – Weise ein Ritual mit einem geschmückten Totenkopf. Und David Bowie quält sich mit verbundenen Augen durchs Video. Aber er schwingt auch sehenden Blickes seine Hüften, wie früher. Er streckt dem Tod die Zunge heraus, so wie drei Strohpuppen, die zwischen Kreuzigung und dem „Zauberer von Oz“ changieren.
Nun wissen wir: hier hat sich ein todkranker Mann mit all den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln seiner Krankheit gestellt, ohne sich selbst oder die, die ihm nahe standen oder seine Fans zu schonen. Er arbeitet sich durch das Rätsel und löst es nicht auf, weil er das nicht kann. In diesem schöpferischen Tun liegt die Kraft. Nicht der Trost. Aber die Kraft.
Schauen Sie sich dieses Video nur an, wenn Sie wirklich starke Nerven haben, es kann ziemlich verstörend wirken.
Der Panikrocker
Im April erschien Udo Lindenbergs Album „Stärker als die Zeit“, am 17. Mai feierte er seinen siebzigsten Geburtstag. Das Nachkriegskind, Musiker seit er Teenager war, der Panikrocker, der nichts ausließ, Drogen, Alkohol, Abstürze. Und nun irgendwie geläutert und doch immer noch er selbst mit schwarzem Hut, Lederoutfit und Sonnenbrille. In seinem Album „Stärker als die Zeit“ geht er alle Themen des Alterns durch. Hält Zwiesprache mit seinem Body, mit alten Freunden, alten oder neuen Lieben, seiner gewählten Familie, mit der Einsamkeit und dem Abschied und wer weiß, vielleicht ja auch mit Gott. Schnodderig wie nur er das darf und kann – er ist mit sich im Reinen.
Nun kann er die Brille auch abnehmen.
Hey Baby, ich sag Goodbye
zu der Lebensänderungsschneiderei
ich bin doch kein Schnarcho …
Ne Baby, kriegst mich nicht klein
ich war schon immer so’n rollender Stein
mehr so’n Anarcho
…
Und ich werde mich nicht ändern
werd kein anderer mehr sein
ich habe tausend Pläne
doch ’n Plan B brauch ich kein
Udo kann nun für andere da sein: Ich trag dich durch die schweren Zeiten, singt er.
Oder ist jemand anderes das „ich“? Und wer ist das „du“?
„Ich bin bereit, mein Gott“
Und schließlich der kanadische Singer-Songwriter Leonard Cohen. Sein Album „You want it darker“ erschien am 21. Oktober. Er starb am 7.November im Alter von 82 Jahren. „I´m ready my Lord“, hatte er gesungen und im Interview geschäkert, er hätte nicht übel Lust Hundertzwanzig zu werden. Sein Titelsong ist besonders rätselhaft.
Wenn du die Karten gibst
bin ich aus dem Spiel
Wenn du der Heiler bist, bedeutet das
Ich bin gebrochen und gelähmt
Wenn dir der Ruhm gebührt, dann
Gebührt mir wohl die Schande
Du willst es dunkler
Wir töten die Flamme
Gelobt, gepriesen
Sei dein heiliger Name
Verunglimpft, gekreuzigt
In der menschlichen Gestalt
Millionen Kerzen brennen
Für die Hilfe, die niemals kam
Du willst es dunkler
Hineni, hineni (Hier bin ich, hier bin ich)
Ich bin bereit, mein Gott
(Quelle: Songtexte.de)
Ich höre sein Album in diesen Tagen rauf und runter und fühle mich gut und getragen von der unterirdisch tiefen Stimme. Und davon, dass Scheitern und Versöhnt sein gut nebeneinander sein können. Cohen lehrte mich, den Knacks im Leben zu schätzen. „There´s a crack in everything, that´s where the light get´s in”, sang er. In allem ist ein Knacks, ein Riss oder Sprung, so kommt das Licht herein. Dieses Lied wird für mich immer eine Brücke ins Leben sein. Es ist adventlich. Bald singen wir: „O Heiland reiß die Himmel auf“.
Gott segne deine Rätsel,
deine Ungereimtheiten, dein Scheitern,
segne das Unfertige
und deine Zunge, die du herausstreckst.
Gott segne deinen Knacks.
Gott sei das Rätsel, das dich trägt.
Amen