Der Blog für die zweite Lebenshälfte

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Jahreslosung 2017: Herzenssprechstunde

Veröffentlicht in: Andacht/ Spiritualität, Geronto-was? Theorie ganz praktisch, NACHmachBAR

Jahreslosung 2017: HerzenssprechstundeIch (AZ) habe in Bad Orb einen Predigtauftrag. Und dort werde ich am 1.1.17 meinem Herzen Luft gemacht und diese Geschichte erzählt haben, die in fast allen Teilen so oder so ähnlich in Hessen und andernorts geschehen ist. Und so hätte ich das gern….

Gott spricht:Ich schenke euch ein neues Herz und lege einen neuen Geist in euch.
Hes 36,26;  (Jahreslosung 2017)

So, also, wer es von den Orber Gästen noch nicht wissen sollte, dieses Jahr haben wir es endlich gemacht. Wir hatten da ja ewig von geträumt.  Wir haben in der Raiffeisenstraße den alten Friseurladen gemietet. 550 mit Nebenkosten. Die Kirchengemeinde hat ja geerbt gehabt. Das war ein Geschenk des Himmels.
Das Café Carstens am Quellenring war ja leider vergeben. Das hätten wir gern genommen. Da ist ja jetzt der Inder drin. Wo früher die Anja drin war. Mit ihren Suppen. Die hat mehr verkauft als Suppe. Da war Herz drin. Auf jeden Fall. Im Kaffee auch. Handgebrüht jede Tasse. Das gab´s nur bei Anja.
Wär schön gewesen – mit uns – im Café Carstens. Denn oben sind ja die Künstlerinnen drin. Da wär uns auch einiges eingefallen, was wir mal hätten zusammen machen können.

Der Friseurladen
Aber nun ist es erst mal der Friseurladen geworden. Immerhin seniorengerecht. (Na ja, die Toilette ist ein bisschen klein, aber mit den Haltegriffen geht´s jetzt.) Friseurladen passt ja irgendwie auch super. Die Friseurinnen sind ja auch sowas wie Seelsorgerinnen. Sie waschen, schneiden und föhnen den lieben langen Tag und derweil kriegen sie alles erzählt, was den Kundinnen so auf der Seele liegt. Dass die Tochter weggezogen ist, wegen der Arbeit. Die hätte mich doch eigentlich pflegen sollen. Dass die Nachbarin auch nicht mehr so gut kann. Dass der nächste Laden zugemacht hat, wo man doch immer so schön Geschenke einkaufen konnte. Und der junge Nachbar mit seinen 50 liegt mit Herzinfarkt in der Klinik.
So ging das da immer.
So ist unser Laden eigentlich auch schon ganz gut eingeweiht gewesen in Sachen Herzensangelegenheiten. Wir haben das Lila, das da früher an den Wänden war mit einem hellen Grün überstrichen und mit den Künstlerleuten vom Quellenring haben wir den Laden echt schön eingerichtet. Mit Sofa natürlich. Kleine Café-Ecke. Klar. Und dann haben wir die erste Herzenssprechstunde abgehalten. Mittwochs nachmittags, wenn der Arzt zu hat. Denn eigentlich ist es doch viel netter, sich bei uns mittwochs nachmittags zu treffen, als sich montags morgens mit den ganzen Leuten ins Wartezimmer zu quetschen, die eine AU für die Arbeit brauchen. Montags, wenn das Herz wieder anfängt zu schlagen, nach dem langen Sonntagnachmittag und der noch längeren Sonntagnacht. Und eben weh tut.

Die Herzenssprechstunde

“Herzenssprechstunde”. Die Doktoren sind wir selbst. Die Doktorinnen natürlich auch.
Wir haben lauter Herzvariationen auf den Tischen verteilt (Herzen aus Schokolade und welche aus Stein, ein EKG Bild und all so was.) Und haben die Leute gefragt: „Wer war schon einmal in der Orb, mit nackten Füßen?“ „Wer kennt die Kaffeemaschine in der Wohnung nebenan?“ „Wer hat schon einmal für seinen Nachbarn Suppe gekocht?” Man muss sich ja irgendwie kennenlernen. Da fängt man mit den lustigen Fragen an und tastet sich langsam vor, wie es so um die Nachbarschaft bestellt ist.

Wir haben gelacht, Schokoladenherzen auf der Zunge zergehen lassen und die Steine in der Hand gewogen. Ja. So manches Herz wiegt manchmal schwerer. Und so manches Herz war deutlich leichter, als wir wieder auseinander gingen.

Nach und nach haben wir herausbekommen, was den einzelnen so fehlt und was sie gerne mal machen würden. Ein paar Männer fanden heraus, dass sie es alle Leid waren, immer alleine zu essen. Sie haben jetzt eine Kochgruppe gegründet. Zusammen kochen macht mehr Spaß und schmeckt besser. Keine Frau redet rein, ob man es richtig macht. Der Abwasch ist auch spannender, wenn man dabei über die neusten Nachrichten reden kann.

Äppel gibt es viel zu viele
Ein paar sagten, sie hätten so schöne Äppel im Garten, aber kämen gar nicht mehr so richtig dazu, sie alle zu ernten und zu verarbeiten. Da entstand die Idee, dass man mit den Konfirmanden und ein paar Pfadfindern zusammen an einem Wochenende durch die Gärten geht und alle gemeinsam ernten. Und dann haben wir die Äpfel allesamt zum Keltern gebracht und den Saft trinken wir jetzt nach und nach in unserem Laden. Einige Frauen wollten unbedingt Apfelschnitze trocknen. Eine, die Helga, hat ein Rezept hervorgezaubert, wo man die Ringe erst noch in Sirup taucht. Verflixt, waren die gut, so knusprig! Während die Ringe in Helgas Herd und am Kachelofen vor sich hin trockneten haben die Frauen Kaffee getrunken und so manche Anekdote erzählt.

Adoptiert
Im Laden haben wir jetzt fast täglich was. Zum Beispiel die Hausaufgabenhilfe, die von einigen Älteren super gewuppt wird. Hier hat Rike den Jamil kennengelernt. Der ist 9 Jahre alt und hat irgendwie genau verstanden, dass es wichtig ist, gut Deutsch zu lernen. Und überhaupt will er ganz viel lernen. Und dann hat er Rike adoptiert. Ist jeden Tag bei ihr aufgetaucht, damit sie ihm etwas vorliest oder sie spielen, oder eben die Hausaufgaben zusammen machen. Rike musste ihm dann irgendwann klar machen, dass auch Adoptierte manchmal frei brauchen. Das hat er dann verstanden. An Weihnachten sind sie zusammen ins Krippenspiel und sie haben abgemacht, dass er über Weihnachten bei ihr sein darf, wie bei einer Oma.

Zeitgutschein-Tombola
Manchmal feiern wir Feste, wo alle etwas mitbringen. Sogar das Geschirr, weil unsere Café – Ecke echt winzig ist. An diesen Tagen fließt kein Geld. Kein Cent irgendwo hin. Alle bringen was mit, ob wir nun viel haben oder wenig, ob wir von hier sind oder von weit weg eben und wir feiern. Da haben wir auch die Adventsidee von 2016 richtig ausgebaut und die Zeitgutschein-Tombola ist inzwischen der Renner. Hier werden so nette Sachen verlost wie “Zusammen Kuchen backen”, “Vorlesen im Park”, “Frühlingsliedersingen – aber nicht höher als C-Dur”, “1 Schnecken-Spaziergang”, und solche Sachen. Da legen sich inzwischen alle richtig ins Zeug auch die Alten, für die das ursprünglich als Hilfe gedacht war.

Einmal haben wir vor dem Laden im Freien gekocht. Mit Sachen aus dem Tafel-Laden. Bei uns heißt das “Gebende Hände”. Mit den Leuten, die zur Tafel kommen. Das Ordnungsamt hat beide Augen zugedrückt und das Gesundheitsamt zum Glück nichts mitgekriegt. War echt schön. Alle konnten etwas geben, durchs Schnippeln und rühren und abschmecken und so weiter.

Der Laden-Altar
Einmal, als es dieses Jahr wieder einen Anschlag gegeben hatte, haben in der Herzenssprechstunde einige gesagt: “Jetzt reicht´s. Ich kann mir das nicht immer allein zu Hause am Fernseher anschauen und dann Sorgen machen ohne Ende und die Trauer und alles.” Da haben wir im Laden die Gebetsecke gestartet. Kerzen aufgestellt. Ein Buch zum Hineinschreiben für die Sorgen, wie hier in der Kirche. Ein zweites Buch hat echt nicht geschadet. Gibt schließlich genug Sorgen. Die Leute haben angefangen, die Ecke zu schmücken und immer wieder zu verändern. Als eine Frau aus dem engeren Kreis verstarb, haben wir ein Bild von ihr hingestellt und uns zusammen an die Frau erinnert. Das hat richtig gut getan. Und ich glaube, so manche haben wohl bei sich gedacht “Wenn ich mal sterbe, werden sie sich auch so an mich erinnern. Wie schön!”

Uns gehen also die Ideen noch lange nicht aus. Und ich muss echt sagen, die Jahreslosung 2017 hat bei uns richtig gefunkt. Gott spricht: Ich schenke euch ein neues Herz und lege einen neuen Geist in euch. Hes 36,26;  (Jahreslosung 2017)

So hieß die, wenn Sie sich erinnern. So war´s. Und mit dem Mieten und der Herzenssprechstunde fing alles an. 


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