Der Blog für die zweite Lebenshälfte

Der Blog für die zweite Lebenshälfte

Zwischen Katjes und Käßmann: Die Altersbilder-Pandemie

Veröffentlicht in: Allgemein, Geronto-was? Theorie ganz praktisch

Zwischen Katjes und Käßmann: Die Altersbilder-PandemieFür Sie ein Einblick in die aktuelle Diskussion über Altersbilder und ihre Folgen für Gesundheit und Engagement, mit einigen wichtigen Fachbeiträgen.
Knallrosa leuchtet das neue Katjes-Werbeplakat für vegetarische Süßigkeiten in den öffentlichen Raum – mit dem faltigen Gesicht einer über hundertjährigen Frau, dort, wo sonst die schönen jungen Frauen zu sehen sind (Antoni Jellyhouse. Mit diesem Motiv ruft Katjes zur Achtsamkeit gegenüber Älteren auf.), mal mit Kopftuch, mal mit Stillbaby vor der Brust, mal mit dem Hund im Arm, der nur noch drei Beine hat. Katjes setzt auf Diversity. Das ist erst mal gut. Ich stolpere dann aber doch doppelt über die Anzeige, denn neben der Alten prangt „Jedes Leben ist wertvoll. #achtetaufeinander“.  Der achtsame Umgang miteinander in Corona-Zeiten ist wichtig. Die Kampagne mit dem Haltungs-Werbesatz der Firma „Jedes Leben ist wertvoll.“ läuft m.W. seit 2019. Aktueller kann man nicht sein in Zeiten, in denen im schlimmsten Falle ethische Entscheidungen anstehen, wer wie medizinisch behandelt werden soll (oder eben nicht).  Dass ich mit der Bildauswahl dennoch meine Schwierigkeiten habe, obwohl es aus der großartigen Hundertjährigen – Fotoserie von Karsten Thormaelen stammt, dazu gleich mehr.

Gefährliche Altersbilder

In der Corona-Krise haben wir es plötzlich wieder mit einer überwältigenden Vielzahl von Altersbildern zu tun, die auf Schutzbedürftigkeit, Schwäche, Krankheit und Abhängigkeit (Einkaufshilfe) zielen. Das wird von vielen Fachleuten kritisiert. Das Framing, das hier passiert, wirkt sich auf das Selbstbild Älterer aus. Hier ein paar wichtige Stimmen:

17.4.2020, Interview Frankf. Rundschau: Diskriminierung im Alter: „Die Corona-Krise kann den Generationenkonflikt verstärken“ Alternsforscher Hans-Werner Wahl warnt vor einer Diskriminierung älterer Menschen und den Folgen von sozialer Distanz: „Wir wissen, dass solche negativen Stereotype oft übernommen werden, das Selbstbild verändern und die Motivation für ein facettenreiches Leben und neue Erfahrungen massiv schwächen können. Was im Augenblick in Deutschland passiert, ist eine massenhafte Selbststigmatisierung älterer Menschen. Sie sagen sich: ´Ich bin ja doch alt und verletzlich.´“

24.04.2020 Die Deutsche Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie (DGGG e.V.) fordert:“Selbstbestimmung, Partizipation und soziale Teilhabe müssen auch für ältere Menschen trotz der Corona-Pandemie gewährleistet werden. Denn restriktive Maßnahmen der sozialen Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen sind gerade für die ältere Bevölkerung nicht nur schützend, sondern bergen die erhebliche Gefahr, sich schädigend auszuwirken – körperlich, sozial, kognitiv, emotional und versorgungsbezogen.“  Partizipation und soziale Teilhabe älterer Menschen trotz Corona-Pandemie ermöglichen

27.5.2020 Eva-Marie Kessler, Berlin, Psychotherapie im Alter (PiA): „Corona-Pandemie: Ältere Menschen sind sehr viel mehr als »die Risikogruppe« weißt darauf hin, dass das Leben in großen Einrichtungen mit mangelnder Schutzausrüstung alte Menschen überhaupt erst zur Risikogruppe und zu Opfern der Pandemie gemacht hat. Durch die Stigmatisierung werden wiederum Menschen, die in ihrem heimischen Kontext im Vergleich zu anderen relativ sicher leben, durch die negativen Bilder derart verunsichert, dass sie nötige Arztbesuche unterlassen und soziale Kontakte derart zurück fahren, dass dies für ihre  Gesundheit gefährlich wird.

Leider sehen wir das an vielen Stellen bereits. Wie ich an anderer Stelle bereits schrieb: die gerontologischen Psychiatrien füllen sich. Und viele, die noch ganz gut zuhause zurecht kommen, wagen es nicht, sich mit anderen zu treffen. Das wird auf lange Sicht – und auf die müssen wir uns leider einstellen – nicht gut gehen.

Zwischen Katjes und Käßmann: Die Altersbilder-PandemieDie Katjes-Dame reihe ich in den defizitäre Altersbilderreigen mit ein. Trotz Lippenstift und Plakatgröße: Der melancholisch nach links gesenkte Blick macht sie zu einem schützenswerten Wesen. Würde sie uns selbstbewusst direkt anblicken oder frech nach rechts in die Zukunft schauen, würde aus ihr ein selbstbestimmt agierendes Subjekt. Schade, Chance vertan.

Margot Käßmann bleibt daheim

Das gilt auch für Margot Käsmann, die frühere EKD-Ratsvorsitzende und beliebtes Vorbild für Frauen, die mit ihr älter werden.  Sie setzt sich in der Obdachlosenzeitschrift „Asphalt“ für ein zügiges Öffnen von Kitas und Schulen ein und reißt zugleich die Schere zwischen den Generationen auf: „Wenn ich wüsste, dass die Kleinen und Jüngeren wieder rauskönnen, wenn wir, die über Sechzigjährigen, die Risikogruppen, zuhause blieben, wenn das der Deal wäre, dann würde ich mich darauf einlassen.“ (Zugriff 8.6.20) Bei evangelisch.de liest man dazu weiter in Käßmann erntet Empörung für „Deal“ der Generationen bei Corona : „Die Älteren hätten ein gutes Leben gelebt und seien „mehrheitlich die Luxusgeneration, die es so gut hatte wie keine Generation vorher und keine danach“.
Frau Käßmann hätte ich nun ein differenzierteres Wissen und Reden über die Älteren zugetraut. Von ihrer privilegierten Warte aus, eingebunden in nachberufliches, honoriertes Engagement, vermutlich in ein online-gestütztes aktives Familienleben eingebettet, kann sie für sich entscheiden zu Hause zu bleiben, andere für sich einkaufen zu lassen und auf das nächste Jahr zu warten.
Viele andere können sich das nicht leisten (s.o.).  Und die Gesellschaft auch nicht. Mit den Generationen, die sich derzeit alle nicht engagieren können/dürfen, brechen wichtige Engagementfelder weg.

Vom dauerhaften Daheimbleiben raten wir ab

De facto steht in der neuesten hessischen Corona-Info (Stand 27.5.), dass Bildungsarbeit mit bis zu 15 Personen möglich ist. Also können sich auch Seniorengruppen, Gesprächskreise, Gedächtsnistraingsgruppen u.ä. unter den entsprechenden Hygienebedingungen treffen. Wir empfehlen, dies zu tun und die Ehrenamtlichen dabei zu begleiten. Denn die Verunsicherung ist groß.  Wir arbeiten an Empfehlungen und Hilfestellungen, die darin unterstützen, Menschen wieder in Begegnungen zu bringen, die wir alle nötig brauchen. Unter „Grundsätze für das kirchliche Leben zum Schutz der Gesundheit – Stand: 2. Juni 2020 der EKHN“ finden Sie erste Hilfen.

Stand 19.6.2020
Offenbar werden Seniorenbegegnungsstätten wieder geöffnet. Wir bleiben am Ball.

(Stand 8.6.2020) Leider sind Seniorenbegegnungsstätten und Mehrgenerationenhäuser noch immer auf der Verbotsliste. Das kann eigentlich nur an o.g. einschränkenden Altersbildern liegen.
Abschließend noch das Schreiben des Arbeitskreises Offene Altenarbeit in Kassel  an Staatsminister Klose (19.05.2020), in dem er um Teilöffnung von Einrichtungen der offenen Seniorenarbeit und von Stadtteil und Nachbarschaftszentren in der Coronakrise gebeten wird. Leider  gab es – Stand m.W. am 8.6.20 – noch keine Reaktion.

 


nach oben

Hinterlassen Sie einen Kommentar

*