„Late Bloomers“ – Was geschieht, wenn Sie in den Spiegel schauen?
Filmbesprechung: Late Bloomers von Julie Gavras
Tick – tick – tick. Adam (William Hurt) und Mary (Isabella Rossellini) hören sie laut und deutlich. Die Zeichen der Zeit: es geht ans Älterwerden.
Während der erfolgreiche Architekt eine Goldmedaillie für sein Lebenswerk entgegennimmt (und damit laut seiner Schwiegermutter seiner Mumifizierung beiwohnt) erleidet seine Frau einen Gedächtnisschwund-Anfall. Oder wie soll man das nennen, wenn plötzlich, am Höhepunkt eines gemeinsamen Lebens die Erkenntnis einschlägt, dass man alt wird. Und nun spielt die Regisseurin Julie Gavras alles durch, was der Blick in den Spiegel von 59 – jährigen Männern und Frauen hergibt.
Die wunderschöne Isabella Rosselini zeigt ihren faltigen Hals. Wie oft haben Sie Ihre Haut an dieser Stelle schon nach hinten gezogen oder mit einem Schal bedeckt? William Hurts Oberkopf zeigt magere Stellen des altblonden Schopfes. Adam wird sich in ein Kapuzensweatshirt und eine alberne Lederjacke zwängen. Es ist wie aus dem Lehrbuch abgeschrieben und durchdekliniert: das vorbildlose Älterwerden, das jede/r für sich selbst gestalten muss – und dann auch noch als Paar.
„Alter und Liebe“ im Film hat Saison. Im Vorspann im Kino wurden gleich noch zwei Filme in der Richtung für den Herbst angekündigt. Wer geht da hin, um sich das anzuschauen? Mein Kino war leer. ein paar versprengte Paare (immerhin), Freundinnen in den besten Jahren und siehe da! auch eine Riege von U 40 Frauen und Männern wagten es, sich diesen sehr gut gemachten Film mit dem beknackten Titel anzusehen.
Viele Lacher bekam die Schwiegermutter, die im hohen Alter ihren Weg gefunden hat, den Schwiegersohn mit selbstgebackenen Panetone und einem Geheimnis belastet und beehrt und sich von dem ganzen „ich bin doch gerne Großmutter-“ Quatsch lossagt. Das hat ihre Tochter noch vor sich, die mit den Enkeln nicht mehr gut zurecht kommt, genauso wenig wie mit ihrem Aussehen und ihrer Rolle in der Gesellschaft. Ihren Weg ins Älterwerden geht sie ebenfalls an, wie aus den neuesten Ratgebern abgeschrieben: Das Seniorentelefon mit den großen Tasten wird angeschafft (das spart Zeit, die Brille zu suchen). Im Luxusbad kommen die Haltegriffe neben die Badewanne, das Ehebett wird elektrisch höhenverstellbar. Der Gatte weigert sich, auch nur irgendetwas davon anzurühren – und zieht aus. Er, der bislang immer Flughäfen gebaut hat, soll nun ein Altersheim planen. Im Grunde auch einen Ãœbergangsort – wie er irgendwann erkennt. Er hasst diese Aufgabe, hasst es, bei der Besichtigung eines Altenheims als Bewohner behandelt zu werden. Lässt sich auf ein Projekt mit jungen Leuten ein und eine junge Frau.
„Late Bloomers“ bringt alles auf den Tisch. Gnadenlos. Witzig. Menschlich. Und mit der Erkenntnis, dass auch Ihnen und mir (mehr …)
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