Der Blog für die zweite Lebenshälfte

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„Wo sind denn eigentlich die alten Jungs?“

Veröffentlicht in: Älterwerden (im Selbstversuch), Geronto-was? Theorie ganz praktisch

Martin Erhardt

Unser geschätzter Kollege Martin Erhardt aus der EKHN schreibt:

„Wo sind denn eigentlich die alten Jungs?“
Anmerkungen zu einer generationsübergreifenden Schieflage
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Männer wie Frauen engagieren sich ehrenamtlich in den unterschiedlichsten Bereichen unserer Gesellschaft. Sie tun das quantitativ ähnlich stark, wenn auch mit gewissen geschlechtsbezogenen Präferenzen. Gleiches gilt für ihr Interesse an Bildung, Kultur und an sozialen wie politischen Fragen. Im unmittelbaren Gemeindeleben unserer Kirche sind Männer jedoch kaum vertreten und viele gemeindliche Veranstaltungen sind wenig attraktiv für Männer. Vielerorts bedauert man diese Situation und sucht nach Wegen, um Männer besser anzusprechen und diese ,Schieflage‘ zu verändern. Nach wie vor wird das Leben einer Kirchengemeinde vornehmlich von Frauen getragen und die angebotenen Männerkreise oder Männerprojekte bleiben überschaubar.
Dazu eine kleine Geschichte, die mir Frau Ute Orlamünder aus Offenbach am Main, Mitbegründerin der ,Aktiven Mitte‘ und engagierte Ehrenamtliche in der dortigen Evangelischen Mirjamgemeinde, zugeschickt hat:
„Ein Mittwochnachmittag, acht hochbetagte Frauen treffen sich zum Zusammensein in der Lutherkirche in Offenbach/Main. Sie sind sozusagen die ,Überlebenden‘ des einst aus über 40 Personen bestehenden gemischten Seniorenclubs. Heute haben wir etwas Besonderes vor: wir haben ein Dutzend Kinder aus unserer Kita eingeladen. Wir sitzen im Kreis, singen miteinander und stellen uns gegenseitig mit Namen und Alter vor. Das Alter der Frauen lässt manche Kinder zwar staunen, aber so richtig einschätzen können sie es wohl noch nicht wirklich. Ehe wir zum Kaffeetisch gehen frage ich die Kinder: Möchtet ihr noch etwas von uns wissen, habt ihr noch eine Frage an uns? Ganz schnell ruft uns ein kleiner Junge zu: „Wo sind denn eigentlich die alten Jungs?“
Einen Wimpernschlag lang herrschte eine totale Stille, dann herzliches, lautes Gelächter. Die Frauen klären auf, dass Ihre Männer gestorben sind und jetzt vermutlich im Himmel sind. Ein Kind berichtet: „Mein Opa ist auch gestorben und im Himmel. Hoffentlich treffen sich die alten Jungs und mein Opa da oben.“
Doch es gibt sie, die Kirchengemeinden, in denen Männer ihren Platz finden, sich aktiv einbringen, gut und gerne mitarbeiten und attraktive Angebote für sich und andere Männer entwickeln. In ihren Programmen tauchen die Lebenslagen von Männern, geschlechtsbezogene Lebensthemen, unterstützende Angebote und interessante Projektideen auf. Gemeinsam sind diesen innovativen Formaten gemeindlicher Männerarbeit die Möglichkeit zu Selbstbestimmung und Mitgestaltung, eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe sowie der Bezug zu aktuellen Themen des Männerlebens, in jüngeren wie in älteren Lebensjahren.
So existieren in einigen Gemeinden Angebote wie Männervesper oder Männerfrühstück, Männergottesdienst oder Männerstammtisch. Sie finden meist unregelmäßig, ca. 3-6 Mal im Jahr statt und beschäftigen sich niedrigschwellig mit gut vorbereiteten Lebensthemen wie z.B. Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Vaterschaft und Kindererziehung oder auch Liebe, Partnerschaft und Sexualität. Darüber hinaus geht es um Glaubensfragen, den Aspekt Gesundheitsprävention sowie politische Fragen und Herausforderungen. Nicht zuletzt sind generationsübergreifende Anliegen und Themen wie Männer und Alter, der Ruhestand, die Rolle als Großvater oder soziale Großelternschaft von Bedeutung.
In anderen Kirchengemeinden oder Dekanaten finden regelmäßige Treffen, ca. alle 2 – 4 Wochen, in Form eines Gesprächskreises, offen nur für Männer oder als geschlossene Männergruppe, statt. Hier handelt es sich um Formate mit einem engerem Rahmen, einer fachlichen oder zumindest moderierenden Anleitung und einer hohen Verbindlichkeit. Die Gesprächskultur dieser Gruppen ermöglicht neue soziale Vernetzungen oder gar Freundschaften. Zudem einen unterstützenden Erfahrungsaustausch sowie das Reflektieren ganz persönlicher wie intimer Themen.
Einige Zahlen zur ,Schieflage‘:
Im Gleichstellungsatlas der evangelischen Kirche in Deutschland 2015 steht S. 14:
„Das kirchliche Leben in den Gemeinden entfaltet sich unter anderem in 130.000 regelmäßig stattfindenden Gruppen wie Kirchenchören, Bibel- oder Seniorenkreisen. Die stärkste Gruppe bilden die rund 15.000 Frauenkreise. Auch knapp 3.000 Männerkreise werden in den Gemeinden angeboten. Im Jahr 2011 nahmen 216.000 Frauen und 38.000 Männer an entsprechenden Treffen teil.“
„Von 1.000 weiblichen Kirchenmitgliedern nehmen durchschnittlich 17 an einem Frauenkreis teil. Die Spanne liegt in den einzelnen Landeskirchen zwischen 7 und 32. Von 1.000 männlichen Kirchenmitgliedern nehmen durchschnittlich 4 an einem Männerkreis teil. Die Spanne liegt zwischen 2 und 9. Zum Teilnahmeverhalten am sonstigen kirchlichen Angebot liegen keine geschlechtsspezifischen Daten vor.“
In ,Gezählt – Zahlen und Fakten zum kirchlichen Leben’/EKD/2009-2016 wird EKD-weit festgestellt:
(Quelle: www.ekd.de/download/zahlen_und_fakten_2016.pdf )

Gemeindeleitende Gremien:
von insgesamt 127 571 Personen sind  60 971 Männer und 66 600 Frauen.
Frauenkreise:
Die Zahl der Kreise beträgt 14 946 und Anzahl der Teilnehmerinnen 205 742.
Männerkreise:
Die Zahl der Kreise beträgt 2 905, die Anzahl der Teilnehmer 38 312.
Alten- und Seniorenkreise:
Die Zahl der Kreise beträgt 14 138, die Anzahl der Teilnehmenden 263 418
Gesprächskreise:
Die Zahl der Kreise beträgt  7 938, die Anzahl der Teilnehmenden 73 990.
Mit dieser Geschichte, den statistischen Zahlen und dem kleinen Spaziergang durch die kirchliche Männerarbeit möchte ich auf die geschlechtsbezogene ,Schieflage‘ in unserer Kirche aufmerksam machen. Ich möchte Mut machen, über Möglichkeiten, Sinn und Nutzen einer emanzipatorischen,  Männerarbeit in unserer Kirche mehr nachzudenken. Es lohnt sich. U.a. auch, damit wir unseren Kindern und Enkeln auf ihre Frage „wo sind denn eigentlich die alten Jungs?“ ausführlicher und lebensnaher Antwort geben können.
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© Martin Erhardt,  Fachreferent für Altenbildung im Fachbereich Erwachsenenbildung und
Familienbildung des Zentrum Bildung der EKHN in Darmstadt

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