Der Blog für die zweite Lebenshälfte

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Netzwerkstatt Nr. 2: Die Kirche und die Babyboomer

Veröffentlicht in: Allgemein, Älterwerden (im Selbstversuch), Geronto-was? Theorie ganz praktisch, NACHmachBAR

Netzwerkstatt Nr. 2: Die Kirche und die BabyboomerDas Video „Die Kirche und die Babyboomer“ mit Cornelia Coenen-Marx ist online! (s.u.) Oberkirchenrätin a.D. Cornelia Coenen-Marx spiegelt uns im Impulsgespräch zur 2. Netzwerkstatt den Schwung der Generation, die jetzt auf den Ruhestand zusteuert. Während die Kirche diese große Gruppe zumeist unter „Wegfall zahlender Mitglieder“ verbucht, hebt Frau Coenen-Marx eine viel wichtigere Währung hervor: Zeit. Und Lust, etwas zu gestalten, eigenen Themen nachzugehen, sich selbstorganisiert zu vernetzen. Welche Rolle könnte Kirche dabei spielen? Gemeindehäuser könnten Raum für Viele im Quartier werden.  Sie könnte bestärken, was schon da ist: Das Wissen darum, dass die eigene Angewiesenheit auf andere etwas Positives ist. Die Entwicklung von Kleinstnetzwerken wird zur Bildung sorgender Gemeinschaften der großen Gruppe der geburtenstarken Jahrgänge führen müssen. Niemand wird für die Pflege in der Form, wie wir sie kennen, aufkommen können. Tischgemeinschaften könnten zur Entwicklung dieser Strukturen beitragen, das Thema Wohnen gewinne an Bedeutung. Auch hier kann Kirche als Partner einsteigen. Mitgliedschaft allerdings tritt in den Hintergrund. Damit knüpft sie an die Ergebnisse der ersten Netzwerkstatt mit Ralf Kötter „Kirche im Land Wir“ an.

Cornelia Coenen-Marx gründete mit Anfang 60 ihre eigene Agentur „Seele und Sorge“   und bringt seither ihre Expertise zu Kirche, Diakonie, Care- und Alter(n)sfragen in Vorträgen und Beratungen direkt in die Praxis. Sie gehört selbst zur „Woodstockgeneration“. Was das bedeutet und bis ins Heute austrägt, beschreibt sie im Gespräch mit Annegret Zander so eindrücklich, dass klar ist: Kirchliche Arbeit wird die Babyboomer nur erreichen, wenn wir sie wirklich wahrnehmen, ihnen zuhören, Vertrauen schenken und Räume öffnen.

Weiterführende Links

Im Gespräch wurde auf folgende Seiten hingewiesen:
Die „wandernde“ Bevölkerungspyramide des Statistischen Bundesamtes

Der Wiener Verein für Kunst und Kultur „Nichtgrau“ nichtgrau.net

Das Wiener Projekt Tavolata, in dem Tischgenossenschaften gebildet werden. tavolata.ch
Dazu ein Kommentar aus der Runde: „Das machen Studierende übrigens auch. Sie nennen es „Running Dinner“ und geben sich einen thematisch passenden, witzigen Namen. Sie koordinieren das in Chatgruppen oder FB-Gruppen. Martina Jakubek, forum alter und generationen, NBG kommentierte: „Engagement hängt tatsächlich von der Atmosphäre, Möglichkeiten, Akzeptanz und Wertschätzung durch die Gemeinde ab – ansonsten stimmt es, man findet ja unglaublich viele andere Möglichkeiten. Und man braucht Kontaktflächen.“

Die Impulse der Netzwerkstatt wurden aufgezeichnet und zusammengeschnitten.

In Kleingruppen reflektierten die 40 Teilnehmenden, die übrigens selbst zu einem großen Teil der Babyboomer – Generation angehören, weiterführende Fragen und sammelten gemeinsam die Ergebnisse auf einem Etherpad, deren Inhalte wir hier unzensiert zur gemeinsamen Sichtung und Weiterarbeit vorstellen:

1. Gesprächsrunde
Woran merken Sie, dass Sie ein*e Babyboomer*in sind, ein*e Babyboomer*in vor sich haben?

  • Ich habe es lange nicht gemerkt, weil ich dachte, dass das Leben eben so ist. Heute weiß ich, dass ich mein Schulleben lang in zu großen Klassen verbrachte, meinen Studienplatz nach  einem umfangreichen Auswahlverfahren erstaunlicherweise sofort bekam. Gleichzeitig ist mir inzwischen sehr klar, dass in den 2040er Jahren nicht genug Kapazitäten da sein werden um uns dann Hochaltrigen zu unterstützen.
  • Impfstrategie, alle 60 jährigen warten
  • Witwenstand
  • Rente
  • Frauenarbeit, Frauenhilfe zu aktiven Frauen
  • Bewegend, wollen was verändern
  • Interessant wie junge Kirchenvorstände sich einbringen
  • Wunderbare Frage – mir wurde schon in den letzten Jahren in der Schule gesagt, dass wir sowieso keine Stellen bekommen. Ein begleitender Lebenssatz – im Studium – im Praktikum – in der Auslandsjahrbewerbung, „suchen Sie sich lieber ein zweites Standbein“, im Examen musste die Hälfte durchfallen, damit es genug Plätze für die Absolventen gibt …. Und heute heißt es, hoffentlich sind „wir“ alle in Rente, damit die Jungen wieder kommen können und wir zu viele Plätze besetzen. Andererseits schätzt die Kirche auch mitunter die Erfahrung.
  • Woran erkenne ich, dass ein Babyboomer vor mir steht? In der DDR waren selbst die Babyboomer angepasst – alles lief auf zwei Ebenen – in der Schule und zu Hause, bei Freunden. Im Theologiestudium fand das dann statt: „Ihr seid zu viele, das wird nicht klappen“. Also Gleichaltrige in Ost und West waren 89/90 sehr verschieden – jetzt ist es angeglichen.
  • Immer total mühsam, sich irgendwo zu bewerben – einen Platz zu „ergattern“
  • Wir kommen schon durch – immer neue Versuche starten
  • von Zuversicht geprägt (politikgläubig)
  • Suche nach Konzepten, dem „Dahinter“.
  • Babyboomer prägt die Erfahrung immer zu viele zu sein.  Wir waren immer genug.
  • Gleichberechtigung ist Thema.
  • Ehrenamt
  • Ökologisch interessiert
  • Gruppe bringt viel auf den Weg
  • Die folgende Aufzählung ist vielleicht etwas klischeehaft – aber es kamen einige Emotionen in der Gruppe hoch und man verstand, warum man an gewissen (beruflichen) Stellen an Schwierigkeiten stößt…: Haben gelernt sich durchzusetzen, man erkennt sie an der Kleidung, an ihrem Auftreten,  wollen/müssen sich auch weiterhin behaupten (wirkt manchmal arrogant) Sie haben hohe Erwartungen an andere, aber selber tun sie entsprechendes nicht. Sie haben Pläne für andere, was diese genau so tun sollen und selbst wollen sie unabhängig sein/bleiben. Sind gegen etwas und stellen Forderungen – aber Alternativen bieten sie keine an und erwarten, dass andere die Dinge oder das Problem lösen sollen. Man muss nur gut gebildet sein (Bebildert) und dann kann man das (ist gebildet). Das Lernen aber durch Tun und mit Emotionen passiert fällt ihnen schwer zu akzeptieren und zu leben. Wollen selber in keiner Schublade stecken – stecken aber umgekehrt andere in Schubladen und es ist mitunter schwer, da wieder herauszukommen
  • Die „Ökos“ von damals
  • große Freiheiten in der Jugend
  • bei uns endeten alle „Vorzüge“ ( wir müssen bis 67 arbeiten – die Jahrgänge davor konnten umfangreich vorzeitig in Ruhestand zu gehen)

2. Gesprächsrunde
Nach vorne gedacht: Wilde Ideen für meine Arbeit mit den Babyboomern

  • Gerne würde ich die gut ausgeprägten Kompetenzen sich durchzuwurschteln, für sich (oder andere) einen Platz zu finden, zusammenführen und nützen für die Zeit, wo wir Unterstützung brauchen werden.
  • Wohnprojekte – groß angelegt von der Kinder-Krippe und Wahlomas bis zur Pflege vor Ort und dem eigenen Friedhof.
  • Die Chance mit der „Menge der Betroffenen“ zu punkten für Klima- und Friedens-Projekte.
  • Kirche muss überall dort sein, wo man nicht mit ihr rechnet – an Orten und in Angeboten mit Kooperationspartnern und in Netzwerken – wir brauchen keine „Mitgliedskarten“, ob man Kirchenmitglied ist oder nicht. Kirche ist überall, dort wo wir uns einbringen und engagieren, nicht nur in statischen Häusern, Kirche findet überall statt- mitten im Leben. Pfarrer*innen müssen ihre Altersbilder hinterfragen und wie sie die Generationen erleben und wahrnehmen – Werkstätten wie diese auch für diese Berufsgruppe anbieten. Nur „offene Türen“ reichen heute nicht mehr aus. Wir müssen uns als Kirche öffnen und offen sein für Veränderungen und Traditionen, die gut und wichtig sind, weiter zu führen und weiter zu entwickeln.Wir sind Gestalter*innen unserer Kirche!
  • Ich würde gerne den Mittagstisch verändern, nicht nur für Alte, gemeinsam kochen und schnippeln, nicht bedient werden.
  • Gemeinwesenorientierte Seniorenarbeit, Kooperation mit anderen „Was wollen die Menschen?“ fragen, nicht danach „Was können wir anbieten?“
  • Einladung der Babyboomer zu einer Zukunfstwerksattt. Was wünscht ihr euch für die Zukunft? Gemeinsam gestalten! Weiterdenken! Zukunftsvisionen entwickeln und ermöglichen! Hauptamtliche sind Ermöglicher der Träume der Anderen.
  • Räume nutzen – hergeben – z.B. leerstehende Pfarrhäuser in Dörfern oder Umnutzung von Kirchen, z.B. in Wuppertal, Kirche mit Wohnungen und sakralen Räumen und Tagzeitgebeten und sorgende Gemeinschaft – oder in einer großen Villa – aber viel einfacher wäre eine Kirche mit sakralem Raum, der wichtig ist. Das Standbein wäre die Tischgemeinschaft.
  • Bei uns in der Region heißt das „Boomerang 55 +“ , da läuft so was schon mit Mittagstisch und so weiter. Ich verstehe mich als Unterstützerin im Raum, auch wenn es abwegig scheint – sei es Kino, Buchmesse, alle Ideen unterstützen. Aber im Gemeindekirchenrat wird alles hinterfragt und oft beargwöhnt und etikettiert und manchmal gesagt „das passt nicht hierher“. Wenn immer ein religiöses Etikett draufgeklebt werden muss, finde ich das absurd.
  • Es darf trotzdem „gemeinsames Wandern“ heißen und nicht pilgern und es muss auch nicht heißen „Wandern mit Jesus“ damit kirchliches Handeln sichtbar und spürbar wird :-)
  • In einem anderen Fall ist die Frauengruppe einfach wieder privat in die Wohnzimmer gegangen, um sich zu treffen, da der Druck von der Kirchengemeinde zu groß war, wie alles zu sein hat.
  • Im Osten ist das einfacher – da ist Kirche ganz klein und die polnische Grenze ganz nah – da nimmt die Kirche eher und gerne auf, was an Ideen an sie herangetragen wird. Da die Kirche sowieso eine sehr kleine Anzahl in der Bevölkerung darstellt.
  • Umbruchzeit von den sehr alten Menschen zu den Babyboomer – BB aufmerksam machen: bei uns kann man was machen. Die Verantwortlichen stärken, neu zu denken: Räume zur Verfügung stellen, Hierarchie „muss weg“, die Gruppenarbeit und die Bilder darüber müssen sich verändern, nicht für, sondern wirklich was gemeinsam zu machen. Projekte ermöglichen und als kirchliche Arbeit wertschätzen. Ausstattung, Struktur des Gemeindeamtes/ Pfarramtes den Ehrenamtlichen unangestrengt zur Verfügung stellen. Ehrenamtliche mit Material ausstatten. Zeigen: Ihr seid willkommen in unseren Räumen (da sind die Gemeinden weit weg). Gemeinden sollten sich zusammenschließen, auch über die Konfessionsgrenzen hinaus. „Demut“ einüben: da muss nicht katholische Gemeinde…draufstehen, sondern Neztwerk xyz.
  • Corona hat gezeigt, wir sind alle digital sehr gut unterwegs
  • Wir kirchlichen Babyboomer gehen auch in Rente – das könnte auch eine Entwicklung für die Kirche bedeuten. Das hängt aber davon ab, ob Kirche die Freiheit gewährt, da frei mitzugestalten.
  • Tischgemeinschaften ist eine sehr, sehr gute Form des Austausches und des Treffens. Im Dorf entstanden Mittagstische über die Gemeindegrenzen hinaus in Kooperation mit politischer Gemeinde und anderen Beteiligten.
  • Menschen brauchen Kirche, weil ich ihnen wünsche, Jesus kennenzulernen, durch die Liebe und Gastfreundschaft zueinander
  • Gemeinschaft und Spiritualität – Spiritualität unterscheidet die Kirche doch eigentlich von anderen Gruppen
  • Liebevolles Miteinander – echte Wertschätzung (dies widerspricht sich m.E. mit den Charaktereigenschaften der Babyboomer bzw. steht sich im Weg)
  • Es ist an der Zeit für ein allgemeines strukturelles Umdenken in der Kirche. Noch wird viel zu viel Wert gelegt auf die theologische Ausrichtung von Angeboten, weniger darauf, Menschen Raum zu geben.
  • 55 plus/minus Dekanat  Nassauer Land EKHN als innovative Plattform für  Babyboomer

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1 Kommentar zu “Netzwerkstatt Nr. 2: Die Kirche und die Babyboomer”

Uwe Haas sagt:

Hallo liebe „Boombabys“,
wir werden leider spätestens dann schmerzlich merken, dass wir „dazu“ gehören, wenn wir feststellen, dass die bis 2025 gesetzlich zugesicherte Rentenhöhe ausgerechnet zu dem Zeitpunkt endet, an dem wir diese beanspruchen. Da gilt es nur: „Im hauptamtlichen Dienst bleiben, bis zum bitteren Ende!“

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